12 Monate in 12 Tagen – Tag 7: Winter, Sport und Zeitvertreib

Nach Ostern geht es in Melbourne dem Winter entgegen. Es ist Footy-Zeit, Australian Rules Football. Ohne den ist der Winter doch um einiges trüber. Mit meiner Tochter ging ich wieder ins Stadion, und, da es Winter ist, kann ein Aufwärmen in der Irish Times nicht schaden.

Die irische Flagge bläht sich im Winterwind, seitdem ich in Melbourne lebe, und sicher etwas länger. Ich erinnere mich an einen Abend mit einer U2-Coverband, die insofern beeindruckend war, daß der Sänger nicht nur sehr nach Bono klang, sondern auch die Gestik und das Pathos des irischen Sängers verblüffend imitieren konnte. Über die Irish Times schreibend, komme ich nicht umhin, an den Drunken Poet am Queen Victoria Market zu denken. Hier ist praktisch das Zuhause der irischen Fiddle. Hingehen, Guiness oder Kilkenny trinken, der Musik zuzuhören und mit Unbekannten zu plauschen, die am Ende eines Nachmittags oder Abends nicht mehr ganz unbekannt sind – das ist der Drunken Poet.

Und dann gab es auch wieder den runden Fußball im Fernsehen und in der Kneipe: Die ein Jahr verspätete Fußball-EM. Viele Deutsche waren morgens um 2 oder um 5 nicht zu finden, da z.B. viele junge Deutsche das Land inzwischen verlassen hatten. Das letzte Gruppenspiel der deutschen Nationalmannschaft fand zeitgleich mit dem unserer Kontrahenten in der Gruppe statt. So waren Ungarn, Deutsche, Portugiesen und Franzosen gleichzeitig im Pub. Kein Problem.

Wie wir wissen, hat die deutsche Nationalmannschaft die Gruppenphase überstanden. Gerade so… Am Ausgang bekam ich den Rat, fürs nächste Spiel schnell zu buchen, da die gegnerische Mannschaft viele Fans hätte. Und wegen diesen gäbe es das nächste Spiel das Bier aus Plastebechern, nicht aus Glas. Ich war dann bei dem Spiel, welches das letzte der Deutschen sein sollte. Als die Engländer Tore schossen, tanzten Fans auf den Tischen, die ab und an umkippten, und es flogen volle, halbvolle und leere Biergläser durch den Raum.

Okay, das Letzte stimmt nicht. Es waren Plastebecher.

Inzwischen war “der Adler gelandet”. Unser Gesundsheitsminister war sehr dramatisch und beschwor die Mondlandung, als die ersten Dosen Pfitzer ins Land eingeflogen wurden. Genug, um besonders Gefährteten, wie unserem Prime Minister, eine Dosis zu verspritzen. Danach war das Ding gegessen. Scott Morrison hatte seine Impfung und für den Rest des Landes , da war er sicher, war es “not a race”, kein Rennen.

Pfitzer gab es zwar nicht genug, aber Astrazeneca, welches in Melbourne produziert wird. Ganz selten kann man davon selbst Probleme bekommen, aber da wir für ein paar Monate keinen Virus im Lande hatten – die Außenwelt hatten wir einfach ausgesperrt, mehr oder weniger – war diese Gefahr, die geringer war als die Chance, im Lotto den Jackpot zu knacken, genug, um viele vom Impfen mit Astrazeneca abzuhalten.

Meine Frau und ich haben Superhelden gleich die schönste Impfstelle der Stadt gebucht, das für eine Weltausstellung 1879/80  gebaute Royal Exhibition Building, mit seiner Kuppel dem Florenzer Doms nachempfunden. Ein paar Minuten mit ein paar Dutzend Menschen warten, Eingang, Personalien überprüfen, eine Spritze in den Arm kriegen – was, das war’s schon? – 15 Minuten warten, für den Fall der Fälle, daß ich umfalle oder mir ein drittes Ohr mit 5G-Antenne wächst, mir die Kuppel von unten angucken, Fall erledigt.

Wir kamen gerade zur rechten Zeit. Meine Tochter mußte kurz vorher ins Krankenhaus, das hat unsere Buchung ein wenig verzögert, aber kurz danach fingen die Leute an, sich um Imfungen zu drängeln.

Fortsetzung folgt.

12 Monate in 12 Tagen – Tag 6: Free Hugs

Es wurde Ostern, und das war ja mal ein halbwegs fester Termin, um meine Studienfreundin und ihre Famile zu treffen. Das haben wir seit x Jahren getan, auch wenn immer mal wieder was dazwischen kam, und dabei so einiges erlebt und vorallem erlebt, wie Familien komplettiert wurden und wie sie wuchsen und wie die Jungs und Mädels größer wurden, bis sie sich aus dem Haus in die weite Welt begaben.

Nun, dieses Mal hatten wir Glück. Mister Covid ließ uns ins benachbarte Bundesland rüberwachsen. So kamen wir in einem Tagesritt nach NSW, machten einen Abstecher und Übernachtung in Tumbawumba, und einen Tag später waren wir in Sydney. Wir durften ein Appartment in Kingsford übernehmen. Die an der Straße liegenden kleinen Cafes und Gaststätten locken sonst oft asiatische Studenten an, aber davon gibt es zur Zeit hier wenige. So wirkte Kingsfords Hauptstaße, die Anzac Parade, etwas verlassener als sonst. Die Busse, die früher häufig in die Stadt fuhren, sind durch eine Straßenbahn ersetzt worden.

Als die Pandemie ausbreitete, gab es Unterstützung für alle möglichen Firmen und ihre Inhaber, die Unis hat die Regierung von der Unterstützung ausgeschlossen. Ab und an will man sich mit intellektuellen Erungenschaften schmücken, ansonsten sind Intellektuelle nur lästig für unsere ‘konservative’ Regierung. An Unis gibt es sogar noch Gewerkschaften, das ist auch hinderlich, wenn man von Gewerkschaftshassern regiert wird. Den Studenten hat man gesagt, daß sie keiner Unterstützung würdig sind und doch nach Hause gehen sollten. Unsere Regierung müsse sich nun um Aussies kümmern. Ich frage mich manchmal, ob Aussies im Ausland auch so rüde behandelt werden, ich glaube eher nicht…

Wie auch immer, wir waren ja vorallem wegen unserer Freunde in Sydney, und für free hugs, Umarmungen umsonst. Die hat man in einer Zeit, in der man sich vor allen und allem schützen soll, ab und auch nötig. Die gab es dann auch, und Fahrten in die Stadt, mit dem Boot unter der Harbour Bridge, spazieren im Chinesischen Garten in Darling Harbour und im Botanischen Garten an der Oper, essen auf dem Balkon und Wein und Geang. Okay, gesungen haben wir nicht, geschwatzt aber schon.

Hier mal wieder eines dieser schönen Bilder, die zeigen, wie gefährlich das Leben, hier genauer das Fahrradfahren in Sydney ist.

Wir haben auch ihre Tochter in Newcastle besucht, die mit Mann und deren kleiner Tochter in einem kleinen Häuschen am Wald wohnt, und sind ans Wasser, den Ozean gegangen. Es war noch sommerlich warm. Ich bin vorher einmal nachts am Hafen vorbeigefahren, an kilometerlangen Förderbändern vorbei, auf denen Kohle, viel viel Kohle, in die Schiffsbäuche verfrachtet wird, in die Schiffe, die dann nach China und Japan und anderswo fahren. Newcastle ist der größte Kohlehafen der Welt, wenn ich mich jetzt nicht irre. Das hat weder bei unserem Besuch am Waldrand noch beim Eisschlecken in der Stadt gespürt.

Auf dem Weg nach Hause hatten wir noch Begleitung, besuchten das Paragon Cafe in Goulburn, und schließlich einen der Söhne, den es in einen Ort nahe Canberra verschlagen hat, nach Captains Flat, einem schönen kleinen Ort in einer bergigen und waldigen Gegend. Wir haben uns gefreut, bei ihm übernachten zu können. Für einen Städter ist es doch was besonderes, wenn das Licht ausgeht und es wirklich richtig dunkel wird. Leider hat ihn ein LKW vor vielleicht einem Jahr in seinem Auto ziemlich plattgedrückt, das Auto war Schrott und er hat so einige seiner Knochen gebrochen, so daß es ihm auch jetzt immer noch mal weh tut.  Alles Gute nach Captains Flat!

 

12 Monate in 12 Tagen – Tag 5: Frohe Weihnachten!

Die Arbeit des Jahres geschafft, ich war auch geschafft, das Jahr war lang, um vier war Feierabend, zuhause Heiligabend, der Weihnachtsbaum hat im Topf das ganze Jahr überstanden, Kerzen, Weihnachtsstern, die rotblühende Pflanze, eine im Dunkeln glitzernde Telefonzelle, in der Santa einschneit. Besuch ganz kurz, Süßigkeiten, Pfefferkuchen, Dominosteine, Klaviermusik im Radio, Spazierganz in der Nachbarschaft, angucken, wie sie hier einen Schneemann bauen, und gleich geht es ins Bett. Morgen früh ist Bescherung, Santa kommt des Nachts durch den Schornstein, und danach geht es zum Baden an den Strand.

Frohe Weihnachten!

12 Monate in 12 Tagen – Tag 4: Wo spielt die Musik?

Ein Jahr ohne Musik ist für mich wie ein Wasser ohne Fisch. Also habe ich mich auf die Suche gemacht, ab und an. Nicht alle Träume platzen, aber trotzdem haben so manche Federn gelassen. Von Gästen aus fremden Landen werden wir wohl für eine Weile nur träumen können. Nicht nur für die Killers war das Jahr 2021 ein Killer Year.

Aber kurz zurück zum Fisch. Wir haben den Geburtstag meiner Frau mit kantonesischer Küche in der Gaststätte feiern können. Vorallem seit Ende der Neunziger, als Hongkong von England zurück zu China ging, waren Menschen aus Hongkong auch nach Melbourne gezogen. Daher ist in einigen Stadtteilen der kantonesische Einfluß zu sehen, zu hören und zu schmecken. Später kamen viele “Mainland Chinese”, Chinesen aus der kommunistischen Volksrepublik, nach Australien. Ein nicht unbeträchtlicher Anteil davon sind junge Studenten. An Plätzen wie das von mir fotografierte Box Hill hat man das Gefühl in Asien zu sein. Die Schrift ist chinesisch, die Menschen sind chinesisch, und aus den Restaurants riecht es nach China.

Wir besuchten auch das Haus im Osten der Stadt, in dem meine Frau früher gewohnt hatte, aber statt ihres Hauses war das eine Baustelle, es wird neugebaut.

Auch zwei meiner/unserer früheren Zuhause wurden verkauft und abgerissen, heute stehen dort mehrere neue Häuser, die kleiner sind und wenig bis gar keinen Garten mehr haben. Wo wir jetzt wohnen, darf nicht einfach abgerissen werden, daher ist der von meiner Frau bewirtschaftete Garten erst einmal sicher.

Zurück zur Musik: Natürlich findet sich Musik im Radio. Und Melbourne hat die von Hörern finanzierten Kommunalsender. Wenn diese auch mit kleinem Budget und viel freiwilliger Arbeit von Moderatoren und hinter den Kulissen operieren, Geld ist wichtig.

So hat der sich auf klassische Musik – mit einem Hauch von Jazz – konzentrierende Sender 3MBS alle Einstrengungen unternommen, um den jährlichen Radiomarathon zu veranstalten, der bei der Finanzierung eine nicht unerhebliche Rolle spielte.

Er fand in einem der alten Theatern der Stadt, im Athenaeum Theatre, statt, und war Joseph Haydn, dem Vater des modernen Streichquartetts und der Sinfonie, gewidmet. Ich habe mich auf den Tag gefreut – ein ganzer Tag klassische Musik! Das hatte ich zuvor noch nie gemacht. Es war schön, einen ganzen Tag in Haydns Musik einzutauchen, die auf unterschiedlichste Weise dargeboten wurde.  Zum Teil ging es wirklich klassisch zu, mit Geigen und Flöten, es wurde aber auch geplant und ungeplant improvisiert und arrangiert.

So arrangierte ein Pianist, begleitet von einer Violinistin, ein bekanntes Thema aus dem Kaiserquartett, welches uns Deutschen sehr bekannt ist, als Nationalhymne, “Einigkeit und Recht und Freiheit”, welches bei Haydn zunächst dem österreichischen Kaiser gewidmet war: “Gott erhalt uns Franz, den Kaiser”. Was die beiden sich bei den Variationen gedacht haben, weiß ich nicht, eine davon erinnerte mich an Jimmy Hendrix, wie er das Star Spangled Banner zerschredderte.

In einer anderen Aufführung war der Star eine Orgel. Ursprünglich sollte dazu ein Chor auf der Bühne stehen, durfte aber nicht, der Covidregeln wegen (auch für uns als Gäste gab es einige zu beachten).  Die Orgel war aber schon von Sydney aus hierher transportiert worden, so arrangierte der Musiker die Stücke spontan, daß sie auch ohne Chorbegleitung gefielen.

Ich hoffe auch nächstes Jahr wieder dorthin zu gehen, und vielleicht eine oder einen meiner Gesprächspartner(innen), die ich an diesem Tage traf, wiederzusehen. Peter hat Parkinson und für ihn war es schon anstrengend. Ich hoffe doch.

Ganz anders war die Musik im “Untergrund’ in der Swanston Street, Heavy Metal und Verwandtes. Ein Abend mit einheimischen Bands, die endlich mal wieder eine Spielmöglichkeit hatten. Die Freude war deutlich zu sehen, bis auf bei einer Band, wo wir das Gefühl hatten, eines der Bandmitglieder macht sich beim Rest gerade unbeliebt. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie das nächste Mal in anderer Besetzung auf der Bühne stehen. Ich muß aber gestehen, daß ich mich gerade an keinen einzigen Bandnamen mehr erinnern kann..

An den Namen des weiter unten abegbildeten Herren erinnere ich mich aber sehr. Es ist Tim Rogers, Gitarrist und Sänger der seit etwa zwanzig Jahren existierenden Band You Am I. Die Band hat in der Zeit der Pandemie ein neues Album eingespielt. Sie spielten Stücke davon und bekannteres älteres Material. Ihr größter Hit ist  “Heavy Heart”, welches ich einmal im Cherry Club gehört habe, gesungen von Tim Rogers begleitet von den Supersuckers. Das war vor so langer Zeit, als noch amerikanische Bands zu uns kamen.. Dieses Jahr spielten You Am I zweimal am gleichen Tag im Mai, und ich habe Karten für die “Spätvorstellung” gekauft. Die Gesichter der ersten Runnde waren begeistert. Ich glaube, beim zweiten Mal ist Tim ein wenig die Luft ausgegangen. Er mußte direkt unter einer Klimaanlage stehen, und statt geschwitzt wie sonst schien er dieses Mal zu frieren. Das ist sicher auch nicht gut für die Gesundheit. Es war dieses mal also eher ein Soso-Abend.

Im Hintergrund höre ich beim Schreiben Screaming Symfony mit Peter und Gary, eine Prog-Rock-Show bei PBS, einem anderen Kommunalsender. Peter hat einen so tollen deutschen Akzent.. heute ist er übers Telefon zugeschaltet, wegen Covid in Quarantäne. Er war als Kontakt von Infizierten registriert worden und wartet nun auf sein Testresultat. Das Leben ist doch voller Überraschungen.. Im Mai nahm ich mir mal Zeit, durch die Räume des ACMI, des Australian Centres for Moving Images, für bewegte Bilder, Fernsehen, Kino, Videospiele, zu streifen. Dieses typische Wohnzimmer der Achtziger kam mir bekannt vor. Das Haus in Sydney, welches einen Billiardtisch in der Küche hatte, wollten wir zu Silvester zu besuchen. Zu Ostern haben wir den Besuch dann geschafft, aber davon später mehr.

12 Monate in 12 Tagen – Tag 3: Ja ganz schön, nichts geschehn

Wenn ich so durch die Bilder des frühen Jahres 2021 blättere, fällt mir auf, daß nicht viel passierte. Ich hatte zwischen den Reisen nach Heywood ein paar freie Tage, an denen ich u.a. ab und an auf die Mornington Peninsula gefahren bin.

Die Mornington Peninsula liegt auf der Ostseite von Barwin Heads, der Mündung der Port Phillip Bay, unserer Bucht, und dem Südlichen Ozean. Dementsprechend gibt es zwei sehr unterschiedliche Küsten, die am Norden, zur Bucht hin, oft Strände, die z.B. Safety Beach, “sicherer Strand” heißen, da sie sandig, flach und ohne große Wellen sind, und die südliche Küste, oft hohe Klippen und die kräftigen Wellen des Ozeans.

Aber auch am Ozean gibt es ruhige Ecken. Mir gefällt z.B. die Wanderung zwischen Shoreham und Flinders. In Flinders kann man ins “Hotel”, die Kneipe gehe, Fish & Chips essen oder Kaffee trinken. Hotels sind häufig keine, sondern eben Kneipen. Früher mußte, wer eine Lizenz zum Alkoholausschenken erwerben wollte, für seine eventuell betrunkenen und der Heim- oder Weiterreise unfähigen Gäste Übernachtung anbieten. So waren zumeist im zweiten Stock Gästezimmer. Vorallem auf dem Lande ist das manchmal immer noch so, in der Stadt eher selten.

Zwischen den beiden Küsten, im Inneren der Halbinsel, gibt es bergige – oder vielleicht eher hügelige – Landschaft. Eine Erhebung wird Arthurs Seat genannt, und wer nicht hinaufwandern oder -fahren möchte, kann stattdessen die Seilbahn nehmen. In einer geschlossenen modernen Gondel kann man die 305 Meter hinauf- und auch wieder hinuntergondeln, sicherer als auf der alten, im Jahre 1960 gebauten Seilbahn. Einige Unfälle führten dazu, daß die alte Bahn im Jahre 2006 geschlossen und schließlich durch die heutige moderne Variante ersetzt wurde.

Ansonsten vergnügte ich mich mit Spaziergängen und Radeleien in der näheren Umgebung, Strand, Albert Park Lake – die Heimstatt  des nun seit zwei Jahren nicht stattfindenden Formel 1 Grand Prix, der Yarra River in der Stadt, wo gerudert wird, und ähnlichem.

Wenn wir auch unser Bundesland nicht verlassen konnten, hatten wir doch zumindest die Möglichkeit, mit Hilfe Melbourner Restaurants in 80 Gaststätten um die Welt zu reisen. Wir machten uns also auf die Reise. Im Topolino’s, einem italienischen Puzza&Pasta-Restaurant in St.Kilda, welches ich mit meiner Tochter schon besucht hatte, als sie in den Kindergarten um die Ecke ging, und, wie mir jemand erzählte, führ junge Köche nach deren Schicht oft noch Treffpunkt war, traf ich Mrs. Topolino, die Frau des italienischen Einwanderers, der vor gut 50 Jahren die Gaststätte eröffnet hatte. Sie hat lange gewartet, aber nun hatte sie endlich ersehnte Enkelkinder, wie sie mir erzählte. Ihre Kinder und Schwiegertöchter und -söhne waren zu Beginn der Pandemie im Ausland ‘stecken’ geblieben, und waren nun auf dem Weg nach Hause. Das erfreute sie sehr.

Neuer hingegen war ein “vietnamesisches” Restaurant in Port Melbourne. Ich schreibe es in Anführungszeichen, da sein vietnamesischer Inhaber sich dessen bewußt ist, daß er Küche für Australier macht. Seine Mama würde immer wieder fragen, wenn er denn endlich mal ein “vernünftiges” vietnamesisches Mahl  zubereiten würde. Neben dieser ‘modern fusion’ gibt es vorallem Cocktails, die man auch an der Bar einnehmen kann. Gazn nett, finde ich.

Ab und an habe ich oder meine Frau gebacken. Dieser Kuchen ist von mir (tada!)

An einem Wochenende radelte ich nach Brighton, einem Stadtteil nicht sehr weit weg, der ein wenig nach Geld “riecht”. Das Straßenleben sah im Februar 2021 nicht sehr nach Virus aus, und im Pub, in der Kneipe trafen sich mir zumindest vom Gesicht bekannte Cricketspieler und Anhang. Wohl lief Cricket in den Ferensehern ringsum, die wurden aber nicht besonders viel beachtet. Es wurde getrunken, umarmt und gelacht. Ab und an fiel dann ein wicket, ein Stumpen, und dann wurde gefeiert. Ich glaube, Australien hat was gewonnen.

Unser Zuhause ist nahe des Hafens und der anliegenden Industrie, so daß ein Abendspaziergang uns ab und an in diese Industrielandschaft führt.

Die Industriegegend ist als Fishermans Bend bekannt und soll ein neuer Stadtteuil voller Wohnhäuser werden. Hier ist das erste davon. Im Moment stagniert der Bau weiterer Neubauten, und viel Lagerhäuser sind nur teilweise oder ganz ungenutzte Brache.

Nun ist es Zeit für unseren heutigen Spaziergang. Einen schönen Tach noch!

12 Monate in 12 Tagen – Tag 2: Bairnsdale – Ein Stück Italien in der Kirche

Von Heywood ging es wieder zurück nach Hause. Wir machten noch einen Halt in Torquay und hatten ein recht ansehnliches Mahl im RACV Resort. Es sah alles sehr vornehm aus. Unsere Tage in Heywood waren sonnig gewesen, nun regnete es.

Da, wie gesagt, New South Wales zum unerreichbaren Ausland erklärt wurde, hatte ich einige Buchungen zu widerrufen. Geplant hatten wir, auf dem Rückweg aus Sydney einen Stop in Bairnsdale einzulegen. Stattdessen sind wir nach einigen Tagen zu Hause direkt dorthin gefahren und blieben dort eine paar Tage.

Bairsdale liegt vielleicht etwa 3 Autostunden östlich von Melbourne in Gippsland. Gippsland, eine teilweise recht bergige Landschaft, ist grüner als der Westen Victorias um Heywood, in dem es doch recht staubig ist und vorallem Getreide gedeiht, so scheint mir. Gippsland ist hingegen die Heimat glücklicher Kühe. Oder so, dies ist ein persönlicher Eindruck, der sicher etwas genauerer Betrachtung bedarf.

Wir sind immer mal wieder nach Gippsland oder durch Gippsland gefahren, und ich erinnere mich auch an viel Wald und an größere Landstriche, die von Waldbränden heimgesucht wurden. Davon blieb Gippsland den Sommer 2020/2021 weitgehend verschont. La Nina, ein Wasser- und Strömungsphänomen im südlichen Pazifischen Ozean, welches ab und an auftritt, ließ diesen Sommer regnerischer und kühler als gewöhnlich sein.

Bairnsdale, an einem Fluß gelegen, der Mitchell River heißt, ist ein Ackerstädtchen. In den 1860ern profitierte es von Goldfunden in der Umgebung, seitdem vorallem von der Besiedlung, um Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Am Fluß hängen Kolonien von Fledermäusen in den Bäumen, und die Stadt ist durch den nicht mehr genutzten Wasserturm, ein in den 1930ern gebautes Gericht  im Tudor-Stil und eine katholische Kirche geprägt.

Ich war doch verblüfft, als ich diese betrat. Von außen wirkt die Marienkirche in ihrem romanischen Stil schon etwas italienisch. Sie wurde 1913 eingeweiht. Natürlich findet man weder hier noch anderswo in Australien mittelalterliche Kirchen, sie sind alle “neo”. Trotzdem sieht das Innere der Kirche doch beeindruckend aus.

Francesco Floreani, geboren im Jahre 1899 in Udine, nahe Venedig, hatte in Turin Malerei studiert. Er verließ 1928 Italien, Frau und kleine Tochter, um in Australien sei Glück zu versuchen. Zunächst konnte er in Melbourne sein Geld mit der Malerei verdienen, die Weltwirtschaftskrise, die auch um Australiemn keinen Bogen machte, zog ihm aber den Boden unter den Füßen weg. Er zog aufs Land und fand zeitweise Beschäftigung als Erbsenpflücker.

Eines Tages, im Jahre 1931, machte er sich auf den Weg zur Marienkirche und klopfte an die Tür des Pfarrers, um Arbeit bittend. Vater Cremin gab ihm zwei Statuen, deren Bemalung gelitten hatten. Floreani reparierte sie zu seiner Zufriedenheit.

Der Pfarrer war von seiner Arbeit angetan, und ließ ihn drei Jahre lang das Innere des  Gebetshauses bemalen. Maria ist der Erinnerung an seine Frau entsprungen, seine kleine Tochter, die erst als Teenager nach Australien kam, ist ebenfalls zu finden, wie der Maler selbst, dert Pfarrer und einige der Schulkinder der Stadt, die den Engeln ihr Gesicht leihen. Drei jahre lang malte er, auf recht provisorischen Gerüsten, mit gefüllten Fässern als Basis. Im Jahre 1937 wurde die Kirche erweitert, und Francesco Floreani hatte neue Arbeit.

Ich hatte das Vergnügen, mir diese Geschichte von einer Angestellten der Kirche erzählen zu lassen, die mich auf diese oder jene Gestalt an Wand und Decke hinwies. Dann strömte eine größere Gruppe Neugieriger hinein und ich trat wieder auf die Straße hinaus, ließ Italien hinter mir und war wieder unter der heißen Sonne Australiens.

12 Monate in 12 Tagen – Tag 1: Die Geschichte von Charles Montgomery Foster, einem Ureinwohner aus der Lake Condah Mission unweit von Heywood, und seiner Familie

Das Jahr 2021 neigt sich dem Ende entgegen. Zeit, um ein wenig in der eigenen Geschichte und der um uns herum zu graben.

Zu Silvester 2020/21 fuhr unsere Familie  nach Heywood, in den Westen Victorias. Unser Versuch, eine Studienfreundin und ihre Familie in Sydney zu besuchen und eine Reise dorthin durch verschiedene Orte in New South Wales, dem benachbarten Bundesstaat, anzutreten, war mal wieder am Virus gescheitert. Die Grenze zwischen den beiden Staaten, die wir oft, zumeist in der am Murray liegenden Doppelstadt Albury (in NSW) – Wodonga (Victoria), recht unzeremoniell überquert hatten, ist über die letzten zwei Jahre oft sowas wie die Grenze “ins Ausland” geworden. Seufz..

Die Urlaubsziele an der Küste sind zur Zeit im Sommer hoffnungslos ausgebucht, so daß wir uns umorientierten und nach Heywood fuhren. Ich hatte von dem Budj Bim Welterbe gehört, und hatte gehofft, daß uns lokale Ureinwohner mit einer Führung zum Verständnis desselben verhelfen. Leider kam es nicht dazu, da während der Feiertage am Ende des Jahres auch die Reiseführer im Weihnachtsurlaub waren.

Wie es der Zufall so will, las ich Wochen nach dem Urlaub eine Geschichte von Tony Wright in der Zeitung. Davon gleich ein wenig mehr. Tony Wright ist ein Journalist der Melbourner Tageszeitung The Age.

Der Budj Bim ist ein heute inaktiver Vulkan, der erst in jüngerer Vergangenhait, vor 30 bis 40 000 Jahren, entstand. Die Gurditjmara, in dieser Gegend heimische Aborigines, berichten in ihrer Schöpfungsgeschichte von dem Vulkanausbruch vor etwa 30 000 Jahren. Damit gehört diese Geschichte zu den ältesten erhalten mündlichen Überlieferungen in der Geschichte der Menschheit.

Mir ist bekannt, daß in der Gegend seit Jahrtausenden die Aborigines Aalnetze auslegen und Kanäle graben, um die Aale dort hinein gleiten zu lassen. Mit Sicherheit läßt sich diese Technik seit 6000 Jahren nachweisen. Weiterhin wurden auch mit Basalt gebauten Grundmauern von Hütten gefunden.

Die Besiedlung durch europäische Einwanderer begann hier 1841. Mehr als zwei Jahrzehnte später, 1867, wurde durch die anglikanische Kirche die Lake Condah Mission etabliert, in der die lokalen Ureinwohner der Gurditjmara zusamengetrieben wurden.

Als 1918 diese Mission geschlossen wurde, wurden mit der Ausnahme von vier älteren alle Aborigines in die Lake Tyers Mission in Gippsland verfrachtet, also auf die andere östliche Seite Victorias, hunderte Kilometer entfernt. Ein Teil des Landes wurde an aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrende Soldaten verteilt. Unter diesen Soldaten waren auch Aborignies, auch Gurditjmara. Diese aber waren von der Landverteilung ausgeschlossen. Land gab es nur für weiße Soldaten.

Diese Geschichte wiederholte sich nach dem Zweiten Weltkrieg. Trotzalledem, einige der Gurditjmara blieben bis zu den 1950ern  in der Gegend und nutzten die Kirche der Mission und schickten ihre Kinder auf die Schule dort, die bis 1948 existierte. Um dem ein Ende zu bereiten, wurde schließlich die Kirche zerstört und mit Ausnahme des Friedhofs, der Straße zur Mission und etwas Land mit den Überresten der Mission alles andere Gelände an Soldaten verteilt – wiederum mit Ausnahme der Aborigines, die im 2.Weltkrieg an der Seite weißer Australier gekämpft hatten.

Tony Wright war ein Schuljunge in den 50er Jahren, als er einen der Ureinwohner auf der Hauptstraße von Heywood bei einem wilden Tanz sah, angefeuert und/oder bespöttelt von den Einheimischen, die neugierig zusammen liefen und zuschauten. Tony schaute ihm in die Augen, und fand dort keinerlei Ausdruck von Humor. Erst viel später wurde ihm bewußt, was er dort gesehen hatte, ein Gesicht, welches eine Maske war, hinter der sich Verzweiflung verbarg.

Monty Foster war sein Name, und er gehörte zu den Ureinwohnern, die auf der Lake Condah Mission lebten. Er fing Aal und Hasen und verkaufte sie im Ort, reparierte Zäune und verdingte sich zu allerlei Gelegenheitsarbeit. Als junger Mann war er ein ausgezeichneter Läufer, bis er sich beim Holzhacken verletzte. Er war ein Boxer in den Zelten der lokalen Shows, mit denen sich die Leute von Heywood und Umgebung vergnügten.

Im Winter 1954 fuhr die Polizei zu seiner Familie hinaus. Sie fanden zwei seiner Töchter, Gloria, 13 Jahre alt, und Eunice, 9, auf dem Weg von der Schule nach Hause. Sie suchten auch nach deren sechsjährigen Bruder Ronnie, den sie schließlich bei einer Tante fanden. Die Polizei nahm diese drei Kinder mit sich und veranlaßten einen Prozeß gegen Monty und seine Frau Lyall, sie der Vernachlässigung ihrer Kinder bezichtigend.

Lyall war in Hamilton, wo sie wegen einer Tuberkulose-Erkrankung behandelt wurde, Monty war in der Nähe von Port Fairy auf einer Farm arbeitend.

Im Gerichtssaal standen viele Verwandte der Fosters, Tanten, Onkel, manche in den Uniformen, mit denen sie in den beiden Weltkriegen für die Armee gedient hatten, und bezeugten, daß sie sich sehr wohl um die Kinder gekümmert hatten.

Es nützte nichts. Die Bürokratie hatte es sich in den Kopf gesetzt, der Lake Condah Mission ein Ende zu bereiten und die dort noch Ansässigen zu vertreiben. Die drei Kinder wurden nach Melbourne verschickt, zu einem “Empfangszentrum” in Royal Park, und die Schwestern von ihrem Bruder getrennt. Schließlich gelangten alle drei in ein Waisenhaus in Ballarat.

Die Verwandten versuchten Monty zu erreichen. Zu spät, das Gericht war schneller.

In den nächsten Jahren, immer, wenn Monty etwas Geld beisammen hatte, trampte er nach Ballarat und gab seinen Kindern kleine Geschenke. Seine Versuche, die Behörden davon zu überzeugen, seine Kinder wieder nach Hause zu nehmen, scheiterten. Seine Frau konnte die Stille ihres kinderlosen Hauses nicht ertragen und zog nach Melbourne.

Als der kleine Tony, der spätere Journalist, Monty auf der Straße von Heywood tanzen sah, war Monty ein Mann ohne Zukunft, beraubt um seine Kinder und die Familie. Tony Wright lernte seine Geschichte erst viel später.

Dazu beigetragen hat Eurice, Montys Tochter, die seine Geschichte mit ihren Kindern teilte, und 1997 mit den Verfassern des “Bring Them Back Home”-Reports, “Bring sie nach Hause”, der Bericht, der Australiern und der Welt die Geschichte der Gestohlenen Generation, der Vertreibung und Trennung der Familien der Aborigines, vor die Augen führte.

Montys Tanz war seinem geistigen Zusammenbruch geschuldet. Er endete in der Psychatrie des Prince-Henry-Krankenhauses an Melbournes St.Kilda Road. Er starb 53jährig im Januar 1959, unterernährt und mit Wunden durch längere Bettlägerigkeit, wie seine Verwandten später erfuhren. Bis zum Ende seines Lebens war er ein Objekt eines paternalistischen Staates, ohne Rechte eines Staatsbürgers.

Wohl war den Behörden bekannt, wie sie seine Frau erreichen konnten. Es machte sich aber keiner die Mühe, und er wurde allein in einem Armengrab zur Ruhe gesetzt.

Seine Kinder wurden nach und nach aus dem Waisenhaus entlassen, wenn sie das Alter von 15 Jahren erreichten. Eunice fand zurück zu ihrer Mutter. Sie heiratete Jimmy Wright, einen Aborigine aus Sydney und hatte schließlich vier Kinder, 14 Enkel und 20 Urenkel. Sie behütete ihre Kinder und war vor Behörden stets auf der Hut, selbst, wenn es darum ging, einen Arzt zu Rate zu ziehen. Ihrer eigenen Kindheit beraubt, arbeitete sie vom Alter von 40 Jahren für 12 Jahre in einer Kinderpflege in Thornsbury, einem Melbourner Stadtteil.

Jimmy und Eurice kauften ein Haus in Branxholme, unweit der Lake Condah Mission. Der Gedanke ihres Vaters in einem Armengrab ließ Eurice und ihrem Mann keine Ruhe, schließlich borgten sie sich Geld von der Bank. Charles Montgomery Foster, mit vollem Namen, wurde schließlich auf dem Friedhof der Mission begraben. Lyall, Montys Frau, starb Tage später. Sie teilten sich am Ende auch ihren Todestag, den 22.Januar – er 1959, sie 1992. “Meine Mutter wartete, bis mein Vater, ihr Mann, nach Hause in sein Land zurückkehrte”, pflegte Eunice zu sagen.

Eunice Ina Wright starb im März letzten Jahres, 2020. Die Totenfeier fand an der Kirche der Lake Condah Mission statt. Nur ein paar Steine der Grundmauern stehen noch. Die Behörden hatten beschlossen, die Räumung der Mission zu beschleunigen, und zerstörten die Kiche 1957 mit 13 Stangen Dynamit.

Kurz danach tanzte Monty seinen letzten Tanz.

Ein Ausflug zu den Goldfeldern

In Melbourne, genauer in Flemington, findet jedes Jahr am ersten Dienstag im November das Pferderennen statt, “the race that stops the nation”, das Rennen, währenddessen die Nation den Atem anhält, wie es so schon heißt: Der Melbourne Cup. Tatsächlich berichteten mir Leute aus Sydney, mit denen ich am Tag darauf sprach, daß sie um drei Uhr die Arbeit ruhen ließen, um das Rennen zu schauen.

Nun, wir haben das Rennen dieses Jahr ignoriert und sind hinaus zu den Goldfeldern gefahren, nach Ballarat und Umgebung. 1951 brach in Victoria wie in New South Wales das Goldfieber aus. Wohl hatte man schon vorher Gold gefunden, aber die Funde waren sporadisch, und die Regierenden hatten kein großes Interesse. Warum, kann man sich mit Governeur Charles La Trobe erklären, der sich nach dem Ausbruch beklagte, daß es keine Arbeiter mehr in Melbourne gäbe, da jeder alles stehen und liegen ließ, um sein Glück mit der Goldsuche zu suchen.

Auf der Hinfahrt verließen wir kurz vor Ballarat die Schnellstraße und fuhren nach Creswick. Den vergangene Reichtum der Stadt läßt sich an den viktorianischen Gebäuden links und rechts der Hauptstraße ablesen, an Hotels,  Postamt und Banken. Creswick ist auch der Geburtsort der Künstlergeschwister der Lindsay-Familie, unter ihnen Norman Lindsay, Schriftsteller, Karrikaturenzeichner, Maler und Bildhauer.

Er verewigte seine Geburtsstadt in dem Roman “Redheap”, in dem er sich über die wohlgesitteten Bürger seiner Heimatstadt lustig machte. Das Werk war den Einheimischen gar nicht recht und landete erst einmal 30 Jahre auf der Liste der Zensoren.

Wir hatten einen schönen Frühlingstag erwischt und beendeten diesen Ausflug mit einem Spaziergang um den St.Georges Lake, einen künstlich angelegten See, um die Wasserersorgung der Stadt und der Goldmühle zu sichern. Das passierte um 1895. Die Stadt hatte damals 25 000 Einwohner heute sind es etwas mehr als 3000.

Es war ein schöner Spaziergang und erinnerte mich etwas an Ausflüge an Seen in meiner alten Heimat, in Mecklenburg.

In Ballarat konnten wir unter anderem sehen, was der Sturm, der am Freitag davor durch unsere Weltgegend gefegt war, an Schaden angerichtet hatte. Der Botanische Garten war geschlossen, wir konnten umgestürzte Bäume sehen. Diese Frühlingsstürme sind nichts Ungewöhnliches, ich glaube aber, dieser Sturm war etwas heftiger als gewöhnlich.

Auf der Rückfahrt schauten wir uns Clunes an, wo 1851 in Victoria der Goldrausch began. Wir plauschten mit den im Sonntagsstaat sitzenden Rentnern, die gemeinsam das Pferederennen im Fernseher anschauten und darauf wetteten. Ich fotografierte das Denkmal für die im 1.Weltkrieg Gefallenen, ein einsamer Soldat, Gewehr bei Fuß, stellvertretend für all diese Denkmäler, die es praktisch in jedem australischen Orte findet. Die meisten sind sehr ernste Angelegenheiten, nicht von Heldentum, sondern von Trauer geprägt. Der Weltkrieg kostete vielen vielen jungen Australiern das Leben.

Kosmische Botschaften

Vor ein paar Jahren habe ich meinem Sohn ein Buch geschenkt. Science Fiction, die mir eher zufällig über den Weg gelaufen ist. Wie das so manchmal ist, hat dieses Buch den Beschenkten nicht besonders beeindruckt. Aber, da das Geschenk im Hause blieb, konnte ich es selbst lesen und wurde so ein Fan von Becky Chambers.

“the long way to a small angry planet”, zu deutsch  “Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten”, ist das erste von bisher vier Büchern der Wayfarers Series. Diese Bücher kann man sicher auch alleinstehend lesen, auch wenn sich einige Personen und Themen überschneiden. Ich würde empfehlen, sie zusammen und in der Reihenfolge ihres Erscheinens zu lesen. Ich selbst habe bisher die ersten drei verschlungen, das vierte Buch erschien erst kürzlich. Dank Lockdown bin ich seit ein paar Monaten nicht in einem Buchladen gewesen, und habe es auch noch nicht geschafft, es online zu bestellen. Wahrscheinlich werde ich es mir in zwei Wochen kaufen, wenn ich mich dann wieder in Person in einer Buchhandlung umschauen kann.

Was mir an den Büchern von Becky Chambers gefällt, ist der positive Ton. Ich bin mit Utopien aufgewachsen, wenn ich mich recht erinnere, hieß die ganze Kategorie damals auch “utopische Literatur”. In den letzten Jahren sind mir zu viele Dystopien über den Weg gelaufen. Zumeist scheint Zukunft heute etwas zu sein, wovor wir uns eher fürchten.

Wobei die Bücher von Becky Chambers nicht “Friede Freude Eierkuchen”-Gechichten sind. Sie werden aber bevölkert von Wesen, Menschen und Weggefährten anderer Zivilisationen, die zumeist  mehr in Aufbau und Erkundung denn an Zerstörung interessiert sind.

Im dritten Buch, record of a spaceborn few, war ich denn doch platt, weil – jenseits der kosmischen Umgebung, kam mir der Gesellschaftsentwurf sehr vertraut vor. Die Rede ist von der Exodus Fleet, die die Erde verließ, als diese unbewohnbar wurde. Sie nahm mit sich mit all das, was den Bewohnern als wiederverwertbar erschien, und trieb durchs Weltall auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Schließlich trafen sie auf andere Zivilisationen, und die Gesellschaft fand sich im Zwiespalt zwischen egalitärer Selbstgenügsamkeit und einer reicheren, aber auch profitorientierteren, egoistischeren Außenwelt.

Während der Pandemie fand ich ein weiteres schmales Bändchen von Becky Chambers, welches nicht zur Wayfarers-Serie gehört, “To be taught if fortunate”. Es endet mit der Botschaft von Kurt Waldheim, 1977 Generalsekretär der Vereinten Nationen, die auf der Goldenen Schallplatte, the Golden Record, verewigt wurde. Diese Schallplatte wurde mit den Raumsonden Voyager 1 und 2 in den Weltraum geschossen, und treibt seit damals durchs All. Inzwischen hat sie die Umlaufbahn des inzwischen zum Zwergplaneten degradierten Pluto überquert und ist auf dem Wege hinaus aus unserem Sonnensystem.

Die Goldene Schallplatte enthält auf 90 Minuten, ermöglicht durch eine gegenüber einer gebräuchlichen Schallplatte halbierten Abspielgeschwindigkeit von 16 2/3 Umdrehungen per Minute, die Botschaften von Kurt Waldheim – im wunderbar östereichischem Englisch – und US-Präsident Jimmy Carter, Töne von Beethovens 5. Sinfonie und Chuck Berrys Johnny B.Good, sowie “Hallos” in vielerlei Sprachen, von Alt-Sumerisch bis hin zu einem Gruß in Chinesisch an potentielle intergalaktische Zuhörer: “Freunde im All, habt ihr schon gegessen? Kommt, besucht uns, wenn ihr etwas Zeit habt.”

Beckys Chambers Eltern sind eine Astrobiologin und ein Satellitentechniker, und so mag es nicht verwundern, daß ihre Bücher durch Zeit und Raum reisen.

Die Geschichte um die Goldene Schallplatte ist ebenfalls eine Liebesgeschichte. Anne Druyan und Carl Sagan, beide an der Schallplatte beteiligt, telefonierten am 1.Juni 1977 miteinander und beschlossen zu heiraten. Zwei Tage später wurden Annes Hirnströme, ihr EEG, aufgezeichnet. Diese sind auch auf der Schallplatte zu finden.

Letztes Jahr veröffentlichte das Melbourner DJ-Duo The Avalanches das Album “We Will Always Love You”. Die Geschichte der Goldenen Schallplatte, von Anne und Carl inspirierte diese Platte, und es finden sich Schnipsel von der Voyager-Botschaft auf diesem Album wieder, wie die Stimme von Kurt Waldheim und das “Hallo von den Kindern der Erde”.  Die Platte ist das Resultat tausender Samples und viel viel Arbeit von  Robbie Chater und Tony Di Blasi. In einem der Stücke finde ich Alan Parsons “Eye in the Sky” wieder, und es wird gesungen und gerapt, von Sampa The Great, Kurt Vile, Mick Jones (The Clash), Perry Farrell (Jane’s Addiction), um nur einige zu nennen.

Ich habe Ausschnitte von diesem Album bei PBS im Radio gehört, als ich, von meiner Tochter aus dem Krankenhaus kommend, im Dunkeln die Bucht entlang nach Hause fuhr. Es ist Musik, die mich in den letzten Monaten immer wieder begleitet hat. Es gibt darin so viel zu finden. Fantastisch!

“Wir treten aus unserem Sonnensystem in das Weltall und suchen nur Frieden und Freundschaft, um zu lehren, wenn man sich an uns wendet, und zu lernen, wenn es das Glück will. Wir wissen sehr wohl, daß unser Planet und all seine Bewohner nur ein kleiner Teil des unermeßlichen Weltraums sind, der uns umgibt, und wir unternehmen diesen Schritt in Demut und Hoffnung.“

April, April, der weiß nicht, was er will

Wir haben mal wieder eines dieser Frühlingswochenenden, an denen es regnet und die Sonne scheint, die Sonne scheint und es regnet. Manchmal alles zur gleichen Zeit und dann gibt es einen Regenbogen, wie an diesem Freitag, als ich im letzten Tageslicht nach Hause radelte. Es ist Oktober, und, da hier im Süden alles ein halbes Jahr später (oder früher?) passiert, ist unser Oktober der April der Nordhalbkugel.

Meine Garderobe lichtet sich zusehends. Nach zwei  Wintern im Lockdown sind so einige Kleidungsstücke ausgefranst, durchgescheuert, angerissen. Wenn sich dann die freie Welt des Einkaufs öffnet, gibt es auch anderes zu tun, wie zu verreisen oder Freunde treffen oder ins Konzert gehen oder.. Einkaufen findet bei mir relativ unregelmäßig statt und ist eher ein Zeichen von Langeweile als ein Bedürfnis. An Langeweile hat es in den letzten Monaten nicht gemangelt, an Einkaufsmöglichkeiten schon. Ich bin aber auch kein großer Freund des Online-Shoppens. So lichtet sich nun meine Garderobe.

In den nachsten Tagen werden wir Melbourner den Weltrekord an Tagen in Lockdown übernehmen. Der steht bei 245 Tagen und wird von Buenos Aires gehalten. Hochrechnungen ergeben, daß wir dadurch ca. 30 000 Menschenleben in Melbourne gerettet haben.

Es hat erstaunlicherweise letztes Jahr weniger Selbstmorde als üblich gegeben. Es wird vorallem auf erhöhte Sozialleistungen zurückgeführt. Leben mit “Newstart”, inzwischen “Jobseeker” genannt, ist ziemlich lausig und angesichts ständig steigender Mieten kein Zuckerschlecken. Viele, die darauf angewiesen waren, berichten, daß sie sich z.B. mal ein neues Paar Schuhe gekauft haben, was sie sich sonst nicht leisten konnten.

Im Moment ist in der Hinsicht so ziemlich alles beim Alten. Unsere Bundesregierung ist halt “konservativ”, wie es so schön heißt. Wobei ich das eher als “von gestern” übersetzen würde..

Ein wenig hat mich diese ganze Pandemie an 18 Monate Armee erinnert, die ich als junger Mann in der DDR ableisten mußte. Für die letzten Tage gab es ein Maßband von 150 cm Länge, an dem Tag für Tag ein Zentimeter abgeschnitten wurde. Ich kann mich an meine damalige Laune nicht mehr erinnern, aber am Ende stand ein “Endlich!” So geht es mir jetzt. Es wird geimpft, und geimpft, und wir durchbrechen alle paar Wochen neue “Schallmauern” und dürfen dann ein bißchen mehr. Hier in Melbourne rechnet man mit 70% Doppeldosen um den 26.Oktober, mit 80% um den 5.November, und dann soll es halt so halbwegs normal werden. Wir werden sehen.

Derzeit ist es uns erlaubt, 15 km von Zuhase zu “verreisen”, und meine Frau und ich haben dies zu einem Samstagmorgenausflug nach Elsternwick ausgenutzt. Der Name “Elster” stammt tatsächlich aus dem Deutschen. Der australische Farmer und Politiker Charles Ebden hat hier Mitte des 19.Jahrhuderts ein stattliches Anwesen errichtet und es “Elster” genannt, sowie eine seiner Farmen “Carlsruhe”. Geboren in Südafrika, am Kap der Guten Hoffnung, erhielt er seine Bildung in England und in Deutschland, in Karlsruhe.

Es war Samstag, Sabbat für die nicht unbeträchtliche Zahl orthodoxer Juden, die so in ihrem “Sonntagsstaat” zu sehen waren, schwarze Anzüge, schwarze Hüte, Kippas. Etwa ein Sechstel der Bevölkerung des Staddteils ist jüdisch, was man auch in den Geschäften und Gastsstätten an der Einkaufsstraße merkt. In Elsternwick und angrenzenden Stadtteilen, wie St.Kilda und Caulfield, haben viele Auswanderer aus Mittel- und Osteuropa, die vor den Nazis geflohen sind, ein neues Zuhause gefunden. Für mich ist es ein Paradies fürs Essen “wie Zuhause”, ob Gulasch, Brot oder Kuchen.

Am Straßenleben merkte man kaum, das wir noch im Lockdown sind, Autos stapelten sich hinter der Straßenbahn, die langsam durch die Glenhuntly Road zuckelte, Menschen flanierten vor den zweistöckigen Geschäftshäusern. Unten ist das Geschäft oder Cafe, darüber Lagerraum oder Büro, oder ab und an auch noch, wie wahrscheinlich zur Entstehungszeit, die Wohnung der Ladenbesitzer. Das ist aber inzwischen sehr selten geworden.

Wir haben in einem Imbiß Falafel, Hommus, Hühnerflügel, Falafeln und Salad mit Rotkohl gekauft. An der Wand hingen Karten vom Nahen Osten und Bilder von Jerusalem, wir warteten und ich blätterte in einem Fotobuch überToledo. Zum Essen durften wir nicht bleiben, so sind wir in eine Seitenstraße gewandert und haben uns auf den Kantstein gesetzt. Ganz wie in meiner Jugend in Budapest, wenn wir gerade genug hatten, um uns Essen im Supermarkt zu kaufen, aber nicht genug, um in eine Gaststätte zu gehen. Die Welt und die Gründe ändern sich, aber manches wiederholt sich doch.

Seit heute ist hier nun Sommerzeit, es bleibt eine Stunde länger hell. Die Zeitdifferenz zu Deutschland beträgt im Sommer 10 Stunden, im Winter nur acht. Das gilt für Melbourne und Sydney, die Bundesländer Victoria und New Sough Wales. Die Queensländer im Norden haben keine Sommerzeit, sind nun also eine Stunde von uns “entfernt”, Adelaide ist immer eine halbe Stunde zurück, und Westaustralien mit Perth gar zwei, im Sommer drei Stunden. Am Highway durch die Nullarbor Plains liegt Eucla, und dort, in the middle of nowhere, in der Mitte des großen Nichts, stellen sie die Uhren gegenüber Perth um 45 Minuten vor. Diese Zeitzone gibt es aber offiziell gar nicht.

Was sich aber heute nicht geändert hat, ist die Ausgangssperre. Um neun Uhr abends müssen wir zuhause sein, für noch ein paar Wochen. Seufz..