Multitudes – Melbourne und Musik

Französische Kammermusik – Moderne Multitudes aus Melbourne von Katie Yap – eine Zufallsbegegnung mit einer Großmutter chilenischer Herkunft – Chess, Schach, ein Musical im altvertrauten National Theatre in St.Kilda

Wieder in Melbourne zuhause, bin ich nach etwas mehr als einer Woche Strohwitwer – Q ist nun zu ihrer Mutter unterwegs und ich hüte mit C Haus und Hof.

So ging ich dieses Mal allein zu unserem Abonnement beim Melbourne Symfony Orchestra, welches zur Kammermusik im Iwaki Auditorium einlud, einem recht schmucklosen modernen Raum in der Southbank.

French Delights – französische Köstlichkeiten – wurden uns versprochen. Das Programm wurde von der Flötistin Wendy Clarke kuratiert. Zunächst stehen drei Frauen auf der Bühne, neben ihr die harfespielende Melina van Leeuwen und Fiona Sargeant mit ihrer Viola, Später werden bis zu acht Musiker:innen auf der Bühne sein. Es verwundert mich, dass trotz aller beteiligten Frauen nicht ein Stück von einer Komponistin stammt.

Nicht ganz verwunderlich stehen Debussy und Ravel auf dem Programm. Letzterer  schrieb nach Eigenaussage im Jahre 1905 in nur acht Tagen und drei Nächten Introduction et allegro, als Auftragswerk für die Fabrik von Sébastien Érard. Der in Strasbourg geborene Sebastian Erhard favorisierte eine Harfe mit Pedalen, um so mittels acht Seiten pro Oktave alle Töne, inklusive der halben, spielen zu können. Sein Konkurrent, der Österreicher Ignaz Pleyel, hingegen, lieferte Harfen mit zwölf Saiten per Oktave aus.

Wie verkaufte man mehr seiner Harfen? In dem man Ensembles unterstützte und für sie Stücke schreiben ließ, die dann mit ihren Harfen aufgeführt wurden und hoffentlich andere Musiker zum Kauf anregten.

Für ein von Pleyel unterstütztes Kammerorchester hatte gerade Debussy ein Stück geschrieben – für Érard Anlaß, eines von Ravel aufführen zu lassen, auf seiner Harfe. Ravel, einst Schüler von Debussy, hatte aber nur zwei Wochen, da er sich nit einem Freund auf eine längere Bootstour begeben wollte. Das erklärt den etwas spröden Titel und die Eile der Komposition. Trotzdem ist daraus ein gefälliges Stück geworden. Wer weiß, vielleicht hat es auch geholfen, der Harfe mit den Pedalen zum Durchbruch zu helfen, die man heute in den Konzertsälen der Welt sieht.

Mein Lieblingswerk des Abends ist jüngeren Datums, ein Quintett für Flöte, Harfe und drei Streichinstrumenten aus dem Jahre 1934, geschrieben von  Jean Françaix.

Unserem kommunalen Musikradio 3MBS habe ich einen Tip zu verdanken, der mich zu Katie Yap führte. Die Melbourner Violaspielerin  hat eine vierwöchige Residenz im Tempo Rubato. Für einen Preiswettbewerb hat sie eine Handvoll selbst komponierter und mit befreundeten Musikern improvisierte Stücke eingereicht, unter dem Namen Multitudes, Vielfalt. Sie spielt moderne Musik und ältere, auf einer Barockviola, sie mag Folkmusik und modernes, ist Halbchinesin, macht viele Dinge gleichzeitig – mit anderen Worten: Sie hat das Gefühl, eine Menge “Parallelwelten” in sich aufzunehmen.

Im ersten Konzert der Reihe teilte sie die Bühne mit Donald Nicholson,  der Cembalo, Klavier und Synthesizer spielte. Musikalisch ging es durch Jahrhunderte. Das erste Stück stammte von Hildegard von Bingen. Es folgten zwei Komponistinnen aus dem Barock, Francesca Caccini und Barbara Strozzi. Ein modernes Stück hat sie für ihren Vater schreiben lassen, vom Melbourner Komponisten  Kevin Merch. Ihr Vater, ein Doktor, spielt mit ihr im Hause auf dem Klavier. Das Stück hatte an diesem Abend seine Uraufführung in der Öffentlichkeit. Es heißt Stained Glass Sky und ist von einem Gemälde von David Grossmann inspiriert: (Hier zu sehen: https://www.jhnewsandguide.com/scene/arts/david-grossmann-paints-landscapes-moods/article_296decf4-c5bd-55de-8986-618348a83f10.html)

Das Finale gehörte einem von ihr gemeinsam mit Donald Nicholson geschriebenen Stück namens Black Cockatoos, in dem Donald zunächst Cembalo spielt, dann aber zum Synthesizer hinüberwechselt. Katies Violatöne werden von ihm aufgenommen und erscheinen in seinem elektronischen Beitrag als Echo, bis sie mit einem spitzen Ton das Stück beendet. Mich erinnerte dieser Teil ein wenig an Tangerine Dreams Force Majeure, in dem neben Elektronik auch klassische Instrumente und Stimme vorkommen, unter anderem ein Cello.

Wir werden dieses Stück wohl auf einer CD hören können. Ich bin gespannt. Ich werde wohl auf ein weiteres ihrer Freitagskonzerte in Brunswick gehen. Alle vier werde ich auf Grund familiärer Umstände wohl nicht hören können.

Auf dem Heimweg musste ich eine Weile auf dem Bahnhof warten und kam mit einer Frau ins Gespräch, die gerade für einen ihrer Enkel, einen Dreijährigen, ein Geburtstagsgeschenk besorgt hatte (Lego, aber bis morgen nicht verraten!). Sie war mit ihrer Familie nach Pinochets Machtergreifung aus Chile geflohen. Sie hat dort noch Verwandte und Bekannte. Mit der jüngeren Vergangenheit dort hadert sie auch. Chile hat Jahrzehnte neoliberaler Politik hinter sich, eine stark gespaltene Gesellschaft, zwischen arm und reich. Noch immer gilt die Verfassung aus der Zeit von Pinochet. Eine neue wurde abgelehnt, da die Rechte allerlei Lügen verbreiteten, die die Menschen verunsichert hatten. Das klingt leider all zu vertraut.

ich hatte in den letzten Wochen noch ein weiteres musikalisches Erlebnis, das Musical Chess. Die beiden Bs von ABBA, Benny Andersson und Björn Ulvaeus, arbeiteten mit Tim Rice 1982 und 83 an diesem. Zunächst war es eine Platte, die 1984 erschien, 1986 wurde daraus eine Musicalaufführung in London, der weitere, u.a. am Broadway, folgen sollten.

Ein Zufall führte mich vor kurzem auf den Flughafen in Bangkok. Dort kam mir das Lied “One Night in Bangkok” in den Sinn. Ich wusste auch bis dahin nichts über den Hintergrund des Liedes und seine Abkunft aus dem Musical. Als ich dann an einem Donnerstagabend am National Theatre vorbeiradelte, in St.Kilda, ein paar Minuten von zuhause entfernt, und entdeckte, dass dort das Musical aufgeführt wurde, beschloss ich kurz entschlossen, es mir nächsten Abend anzuschauen.

Es gab nur noch wenige Karten. Das Haus war dicht gefüllt, als ich mich auf einen der durchgesessenen alten Stühle setzte, so wie mehr als  ein dutzend Jahre eher, als meine Grundschulkinder dort in der Schulaufführung der Pirates of the Curry Bean auf der Bühne standen.

Dass Musical Chess wurde vom CLOC Musical Theatre aufgeführt. Die orientalen Töne, die den Song “One Night in Bangkok” einleiteten, brachten das Publikum nach der Pause zurück in den Bann des Stückes. Das war nicht weiter schwierig, fand ich. Mir machte es sehr viel Spaß. Im Musical wird eine Schachweltmeisterschaft zum Kalten-Krieg-Kampf zwischen Amerika und der Sowjetunion hochstilisiert, an das Duell zwischen Bobby Fischer und Boris Spassky erinnernd, und um eine Liebesgeschichte mit einer Frau ungarischer Herkunft, die als Kind 1956 das Land verlassen musste, im Zuge der Invasion sowjetischer Truppen ihre Eltern aus den Augen verlor. Die Schachspieler sind selbst nur Schachfiguren, hinter denen Geheimdienste beider Seiten ihre Ränke schmieden. Am Ende gewinnt niemand, wie auch die hinters Licht geführte Frau sich eingestehen muss.