ROCS – Ein Chor at Hymnitation

Was ist ROCS? Die RMIT Occasional Choir Society. Ein Chor von ehemaligen und derzeitigen Student:innen.

Ich war am Samstagabend dort und hatte sehr viel Spaß. Sarah war auf der Bühne und sang Leonard Cohens Hallelujah – was ich tatsächlich als eines der Highlights empfand. Sie hielt sich dabei wie die meisten an der Version von Jeff Buckley, ihr Gesang ging aber über das bloße Kopieren hinaus und ihre Stimme klang klar im Raum. Ich hatte ebenfalls Spaß an den “Nonsense-Stücken” wie Sandra Uitenbogerds Missa Lolcat, an R.E.M.s Losing My Religion und mehr.

Hier eine längere Beschreibung durch ein ehemaliges Chormitglied. Ich kann ihren Enthusiasmus teilen.

ROCS: Hymnitation, Storey Hall, tonight

Back in the day, when the world wasn’t so much out of whack as it is now, keeping a student choir going was a simple enough matter. Now? Corporate universities, online courses, students either having to commute from the family home or work unseemly hours to pay their extortionate rents, plagues, pestilences and all the rest of it – all these conspire to make student choirs a constant battle for their continued existence. It is therefore all the more wondrous to see that most of them are still going, with constantly replenishing cast members.

At ROCS concerts you will hear things you will never find anywhere else. Not for them the tired repertoire, the schoolmasterly maestro swinging his baton, the same old same old. There were many conductors. I counted at least five. It is a hallmark of this choir that it appears to be that rarest of mythical beasts: a functioning anarcho-syndicalist collective. (Sandra prefers it that way!) I am bound to tell you that not everything came off. It is a necessary consequence of always trying new things. Please: let me tell you what really did.

Of the solo works, I was pleased to hear Sarah Winkler breathe unexpected life into that hoary chestnut Hallelujah! Her light, tremolo soprano rendition of it was as sufficiently remote from the late Mr Cohen’s glyphosate baritone as it was from the street choir versions which have plagued us of late, and was a welcome addition to the evening. The solo component was however predictably stolen by Phoebe Allgood, who accompanied herself as usual in Lloyd Webber’s Gesthemane. Her soaring soprano arose from her smoky contralto opening like a phoenix ascending from the hall’s Penrose tiling. Her dynamic range is even more impressive than when last I heard her.

The full ensemble works came off best when backed by the substantial orchestra assembled; although special mention must be made of Dylan Tran’s arrangement of Billie Eilish’s What Was I Made For? It is a demanding piece, and was excellently conducted by Morgan Jenkins. (Apparently it is from the Barbie movie, which I have not yet seen.) We also had three movements from Sandra Uitenbogerd’s Missa Lolcat. I have heard the entire mass before, and I would happily have hearkened to all of it again. It was excellently performed by a shifting cast of singers. Ceiling Cat, deliver us all from evil.

Frequenters of ABC-FM will know of the thriving genre of computer game music. A lot of our best composers write for gamers. And why should they not? Better that than writing symphonies and concerti for over-privileged aristocrats and Prince-Bishops as once our best and brightest did. Christopher Tin is one of these, and tonight we had his Sogno di Volare from a game called Civilization VI. The choir and orchestra overwhelmed us with his mighty chords. It was as if Storey Hall were insufficiently majestic to contain such vast harmonies.

And then there was CORP (Compulsively Over-Rehearsing People). This is a long-standing subgroup of ROCS. Tonight’s iteration was an exalted one: Sandra, Lettisia, Anna (welcome back!), Phoebe, Elliott and the ineffable Mr Chas. Really, I could listen to CORP all night. They gave us lots of Sandra’s arrangements, three of her catches, and – most gloriously – REM’s Losing My Religion. About that: is there something about Michael Stipe’s mumbling, impenetrable vocals which inspires people to want to bring out the serious music beneath the incoherence? (I think so. I’ve done things to Shiny Happy People myself.) CORP is always good. Tonight they were magnificent.

Especial thank yous to Ashley Bonnell for splendid behind-the-scenes managing against the odds; to Gilligan for being Gilligan only more so; and also to Elliott Westbury for not only singing tenor wonderfully, but playing piano and bringing along his own orchestra to supplement the local band. A rousing evening, and thanks to all.

Multitudes – Melbourne und Musik

Französische Kammermusik – Moderne Multitudes aus Melbourne von Katie Yap – eine Zufallsbegegnung mit einer Großmutter chilenischer Herkunft – Chess, Schach, ein Musical im altvertrauten National Theatre in St.Kilda

Wieder in Melbourne zuhause, bin ich nach etwas mehr als einer Woche Strohwitwer – Q ist nun zu ihrer Mutter unterwegs und ich hüte mit C Haus und Hof.

So ging ich dieses Mal allein zu unserem Abonnement beim Melbourne Symfony Orchestra, welches zur Kammermusik im Iwaki Auditorium einlud, einem recht schmucklosen modernen Raum in der Southbank.

French Delights – französische Köstlichkeiten – wurden uns versprochen. Das Programm wurde von der Flötistin Wendy Clarke kuratiert. Zunächst stehen drei Frauen auf der Bühne, neben ihr die harfespielende Melina van Leeuwen und Fiona Sargeant mit ihrer Viola, Später werden bis zu acht Musiker:innen auf der Bühne sein. Es verwundert mich, dass trotz aller beteiligten Frauen nicht ein Stück von einer Komponistin stammt.

Nicht ganz verwunderlich stehen Debussy und Ravel auf dem Programm. Letzterer  schrieb nach Eigenaussage im Jahre 1905 in nur acht Tagen und drei Nächten Introduction et allegro, als Auftragswerk für die Fabrik von Sébastien Érard. Der in Strasbourg geborene Sebastian Erhard favorisierte eine Harfe mit Pedalen, um so mittels acht Seiten pro Oktave alle Töne, inklusive der halben, spielen zu können. Sein Konkurrent, der Österreicher Ignaz Pleyel, hingegen, lieferte Harfen mit zwölf Saiten per Oktave aus.

Wie verkaufte man mehr seiner Harfen? In dem man Ensembles unterstützte und für sie Stücke schreiben ließ, die dann mit ihren Harfen aufgeführt wurden und hoffentlich andere Musiker zum Kauf anregten.

Für ein von Pleyel unterstütztes Kammerorchester hatte gerade Debussy ein Stück geschrieben – für Érard Anlaß, eines von Ravel aufführen zu lassen, auf seiner Harfe. Ravel, einst Schüler von Debussy, hatte aber nur zwei Wochen, da er sich nit einem Freund auf eine längere Bootstour begeben wollte. Das erklärt den etwas spröden Titel und die Eile der Komposition. Trotzdem ist daraus ein gefälliges Stück geworden. Wer weiß, vielleicht hat es auch geholfen, der Harfe mit den Pedalen zum Durchbruch zu helfen, die man heute in den Konzertsälen der Welt sieht.

Mein Lieblingswerk des Abends ist jüngeren Datums, ein Quintett für Flöte, Harfe und drei Streichinstrumenten aus dem Jahre 1934, geschrieben von  Jean Françaix.

Unserem kommunalen Musikradio 3MBS habe ich einen Tip zu verdanken, der mich zu Katie Yap führte. Die Melbourner Violaspielerin  hat eine vierwöchige Residenz im Tempo Rubato. Für einen Preiswettbewerb hat sie eine Handvoll selbst komponierter und mit befreundeten Musikern improvisierte Stücke eingereicht, unter dem Namen Multitudes, Vielfalt. Sie spielt moderne Musik und ältere, auf einer Barockviola, sie mag Folkmusik und modernes, ist Halbchinesin, macht viele Dinge gleichzeitig – mit anderen Worten: Sie hat das Gefühl, eine Menge “Parallelwelten” in sich aufzunehmen.

Im ersten Konzert der Reihe teilte sie die Bühne mit Donald Nicholson,  der Cembalo, Klavier und Synthesizer spielte. Musikalisch ging es durch Jahrhunderte. Das erste Stück stammte von Hildegard von Bingen. Es folgten zwei Komponistinnen aus dem Barock, Francesca Caccini und Barbara Strozzi. Ein modernes Stück hat sie für ihren Vater schreiben lassen, vom Melbourner Komponisten  Kevin Merch. Ihr Vater, ein Doktor, spielt mit ihr im Hause auf dem Klavier. Das Stück hatte an diesem Abend seine Uraufführung in der Öffentlichkeit. Es heißt Stained Glass Sky und ist von einem Gemälde von David Grossmann inspiriert: (Hier zu sehen: https://www.jhnewsandguide.com/scene/arts/david-grossmann-paints-landscapes-moods/article_296decf4-c5bd-55de-8986-618348a83f10.html)

Das Finale gehörte einem von ihr gemeinsam mit Donald Nicholson geschriebenen Stück namens Black Cockatoos, in dem Donald zunächst Cembalo spielt, dann aber zum Synthesizer hinüberwechselt. Katies Violatöne werden von ihm aufgenommen und erscheinen in seinem elektronischen Beitrag als Echo, bis sie mit einem spitzen Ton das Stück beendet. Mich erinnerte dieser Teil ein wenig an Tangerine Dreams Force Majeure, in dem neben Elektronik auch klassische Instrumente und Stimme vorkommen, unter anderem ein Cello.

Wir werden dieses Stück wohl auf einer CD hören können. Ich bin gespannt. Ich werde wohl auf ein weiteres ihrer Freitagskonzerte in Brunswick gehen. Alle vier werde ich auf Grund familiärer Umstände wohl nicht hören können.

Auf dem Heimweg musste ich eine Weile auf dem Bahnhof warten und kam mit einer Frau ins Gespräch, die gerade für einen ihrer Enkel, einen Dreijährigen, ein Geburtstagsgeschenk besorgt hatte (Lego, aber bis morgen nicht verraten!). Sie war mit ihrer Familie nach Pinochets Machtergreifung aus Chile geflohen. Sie hat dort noch Verwandte und Bekannte. Mit der jüngeren Vergangenheit dort hadert sie auch. Chile hat Jahrzehnte neoliberaler Politik hinter sich, eine stark gespaltene Gesellschaft, zwischen arm und reich. Noch immer gilt die Verfassung aus der Zeit von Pinochet. Eine neue wurde abgelehnt, da die Rechte allerlei Lügen verbreiteten, die die Menschen verunsichert hatten. Das klingt leider all zu vertraut.

ich hatte in den letzten Wochen noch ein weiteres musikalisches Erlebnis, das Musical Chess. Die beiden Bs von ABBA, Benny Andersson und Björn Ulvaeus, arbeiteten mit Tim Rice 1982 und 83 an diesem. Zunächst war es eine Platte, die 1984 erschien, 1986 wurde daraus eine Musicalaufführung in London, der weitere, u.a. am Broadway, folgen sollten.

Ein Zufall führte mich vor kurzem auf den Flughafen in Bangkok. Dort kam mir das Lied “One Night in Bangkok” in den Sinn. Ich wusste auch bis dahin nichts über den Hintergrund des Liedes und seine Abkunft aus dem Musical. Als ich dann an einem Donnerstagabend am National Theatre vorbeiradelte, in St.Kilda, ein paar Minuten von zuhause entfernt, und entdeckte, dass dort das Musical aufgeführt wurde, beschloss ich kurz entschlossen, es mir nächsten Abend anzuschauen.

Es gab nur noch wenige Karten. Das Haus war dicht gefüllt, als ich mich auf einen der durchgesessenen alten Stühle setzte, so wie mehr als  ein dutzend Jahre eher, als meine Grundschulkinder dort in der Schulaufführung der Pirates of the Curry Bean auf der Bühne standen.

Dass Musical Chess wurde vom CLOC Musical Theatre aufgeführt. Die orientalen Töne, die den Song “One Night in Bangkok” einleiteten, brachten das Publikum nach der Pause zurück in den Bann des Stückes. Das war nicht weiter schwierig, fand ich. Mir machte es sehr viel Spaß. Im Musical wird eine Schachweltmeisterschaft zum Kalten-Krieg-Kampf zwischen Amerika und der Sowjetunion hochstilisiert, an das Duell zwischen Bobby Fischer und Boris Spassky erinnernd, und um eine Liebesgeschichte mit einer Frau ungarischer Herkunft, die als Kind 1956 das Land verlassen musste, im Zuge der Invasion sowjetischer Truppen ihre Eltern aus den Augen verlor. Die Schachspieler sind selbst nur Schachfiguren, hinter denen Geheimdienste beider Seiten ihre Ränke schmieden. Am Ende gewinnt niemand, wie auch die hinters Licht geführte Frau sich eingestehen muss.

Kosmische Botschaften

Vor ein paar Jahren habe ich meinem Sohn ein Buch geschenkt. Science Fiction, die mir eher zufällig über den Weg gelaufen ist. Wie das so manchmal ist, hat dieses Buch den Beschenkten nicht besonders beeindruckt. Aber, da das Geschenk im Hause blieb, konnte ich es selbst lesen und wurde so ein Fan von Becky Chambers.

“the long way to a small angry planet”, zu deutsch  “Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten”, ist das erste von bisher vier Büchern der Wayfarers Series. Diese Bücher kann man sicher auch alleinstehend lesen, auch wenn sich einige Personen und Themen überschneiden. Ich würde empfehlen, sie zusammen und in der Reihenfolge ihres Erscheinens zu lesen. Ich selbst habe bisher die ersten drei verschlungen, das vierte Buch erschien erst kürzlich. Dank Lockdown bin ich seit ein paar Monaten nicht in einem Buchladen gewesen, und habe es auch noch nicht geschafft, es online zu bestellen. Wahrscheinlich werde ich es mir in zwei Wochen kaufen, wenn ich mich dann wieder in Person in einer Buchhandlung umschauen kann.

Was mir an den Büchern von Becky Chambers gefällt, ist der positive Ton. Ich bin mit Utopien aufgewachsen, wenn ich mich recht erinnere, hieß die ganze Kategorie damals auch “utopische Literatur”. In den letzten Jahren sind mir zu viele Dystopien über den Weg gelaufen. Zumeist scheint Zukunft heute etwas zu sein, wovor wir uns eher fürchten.

Wobei die Bücher von Becky Chambers nicht “Friede Freude Eierkuchen”-Gechichten sind. Sie werden aber bevölkert von Wesen, Menschen und Weggefährten anderer Zivilisationen, die zumeist  mehr in Aufbau und Erkundung denn an Zerstörung interessiert sind.

Im dritten Buch, record of a spaceborn few, war ich denn doch platt, weil – jenseits der kosmischen Umgebung, kam mir der Gesellschaftsentwurf sehr vertraut vor. Die Rede ist von der Exodus Fleet, die die Erde verließ, als diese unbewohnbar wurde. Sie nahm mit sich mit all das, was den Bewohnern als wiederverwertbar erschien, und trieb durchs Weltall auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Schließlich trafen sie auf andere Zivilisationen, und die Gesellschaft fand sich im Zwiespalt zwischen egalitärer Selbstgenügsamkeit und einer reicheren, aber auch profitorientierteren, egoistischeren Außenwelt.

Während der Pandemie fand ich ein weiteres schmales Bändchen von Becky Chambers, welches nicht zur Wayfarers-Serie gehört, “To be taught if fortunate”. Es endet mit der Botschaft von Kurt Waldheim, 1977 Generalsekretär der Vereinten Nationen, die auf der Goldenen Schallplatte, the Golden Record, verewigt wurde. Diese Schallplatte wurde mit den Raumsonden Voyager 1 und 2 in den Weltraum geschossen, und treibt seit damals durchs All. Inzwischen hat sie die Umlaufbahn des inzwischen zum Zwergplaneten degradierten Pluto überquert und ist auf dem Wege hinaus aus unserem Sonnensystem.

Die Goldene Schallplatte enthält auf 90 Minuten, ermöglicht durch eine gegenüber einer gebräuchlichen Schallplatte halbierten Abspielgeschwindigkeit von 16 2/3 Umdrehungen per Minute, die Botschaften von Kurt Waldheim – im wunderbar östereichischem Englisch – und US-Präsident Jimmy Carter, Töne von Beethovens 5. Sinfonie und Chuck Berrys Johnny B.Good, sowie “Hallos” in vielerlei Sprachen, von Alt-Sumerisch bis hin zu einem Gruß in Chinesisch an potentielle intergalaktische Zuhörer: “Freunde im All, habt ihr schon gegessen? Kommt, besucht uns, wenn ihr etwas Zeit habt.”

Beckys Chambers Eltern sind eine Astrobiologin und ein Satellitentechniker, und so mag es nicht verwundern, daß ihre Bücher durch Zeit und Raum reisen.

Die Geschichte um die Goldene Schallplatte ist ebenfalls eine Liebesgeschichte. Anne Druyan und Carl Sagan, beide an der Schallplatte beteiligt, telefonierten am 1.Juni 1977 miteinander und beschlossen zu heiraten. Zwei Tage später wurden Annes Hirnströme, ihr EEG, aufgezeichnet. Diese sind auch auf der Schallplatte zu finden.

Letztes Jahr veröffentlichte das Melbourner DJ-Duo The Avalanches das Album “We Will Always Love You”. Die Geschichte der Goldenen Schallplatte, von Anne und Carl inspirierte diese Platte, und es finden sich Schnipsel von der Voyager-Botschaft auf diesem Album wieder, wie die Stimme von Kurt Waldheim und das “Hallo von den Kindern der Erde”.  Die Platte ist das Resultat tausender Samples und viel viel Arbeit von  Robbie Chater und Tony Di Blasi. In einem der Stücke finde ich Alan Parsons “Eye in the Sky” wieder, und es wird gesungen und gerapt, von Sampa The Great, Kurt Vile, Mick Jones (The Clash), Perry Farrell (Jane’s Addiction), um nur einige zu nennen.

Ich habe Ausschnitte von diesem Album bei PBS im Radio gehört, als ich, von meiner Tochter aus dem Krankenhaus kommend, im Dunkeln die Bucht entlang nach Hause fuhr. Es ist Musik, die mich in den letzten Monaten immer wieder begleitet hat. Es gibt darin so viel zu finden. Fantastisch!

“Wir treten aus unserem Sonnensystem in das Weltall und suchen nur Frieden und Freundschaft, um zu lehren, wenn man sich an uns wendet, und zu lernen, wenn es das Glück will. Wir wissen sehr wohl, daß unser Planet und all seine Bewohner nur ein kleiner Teil des unermeßlichen Weltraums sind, der uns umgibt, und wir unternehmen diesen Schritt in Demut und Hoffnung.“

People Have The Power

Die Festival Hall in North Melbourne am Donnerstagabend: Patti Smith gibt ihr letztes Konzert in Australien. Hierher zu fliegen ist anstrengend für sie geworden, sagt sie, und wenn dann noch die Organisation für eine ganze Band dazukommt, dann wird ihr das langsam zu viel. Sie mag vielleicht noch einmal kommen, aber halt nicht mit voller Band.

Ich hatte ihre Musik, ihr Dancing Barfoot, schon morgens im Kopf, und abends auf dem Weg zum Konzert. Eine Vergeßlichkeit wurde unangenehm für mich: Was sollte ich ohne Fahrradschloß mit meinem Rade anfangen? Ich beschloß, eine junge Frau zu fragen, die gerade ihres abschloß. Sie nahm sich auch meines Rades an, so daß es während des Konzertes sicher war.

In der Festival Hall angekommen, sah ich recht viele Frauen. Sicher, Patti Smith ist auch Wegbereiterin, wenn es um Frauen in Rock(musik) geht.

Zunächst spielte aber Courtney Barnett. Die junge einheimische Sängerin freute sich, vertraute Gesichter aus North Melbourne zu sehen, darunter Mama und Papa. Fast wäre sie nicht auf die Bühne gekommen, scherzte sie: Sie hatte ihren Eltern ihr Armband gegeben.

Courtney spielte fast ausnahmslos Material von ihrer Platte “Sometimes I sit and think, and sometimes I just sit.” Ihre Melbourner Geschichten wurden freundlich aufgenommen. Sie fing langsam und fast beschaulich an, mit Dead Fox. More people die on the road than in the ocean maybe we should mull over culling cars instead of sharks. Mir gefallen ihre lakonischen Bemerkungen und die Zitate aus dem Leben in Melbourne, ob es um den Hauskauf in Depreston geht oder den Elevator operator auf dem Weg in die Stadt, mit der 96 von St.Kilda zur Swanston Street und dann hinauf ins Nicholas Building, eines der alten Hochhäuser aus dem 19.Jahrhundert. Sie ist aber wirklich keine “Liedermacherin”; sie und ihre Band rocken ganz ordentlich. Mir machte das Zuschauen und Zuhören Spaß.

Während Courtney Barnett freundlich aufgenommen wurde, wurde Patti Smith ein frenetischer Empfang beschert. Los ging es mit Dancing Barfoot von der Platte Wave, mit Pumping (My Heart) ging es noch weiter zurück, zu Radio Ethopia. Auch mit Ghost Dance blieb sie in den Siebzigern, das Lied ist auf ihrem dritten Album Easter.

Den nächsten Song sagte sie wie folgt an: Mit 15 hätte sie in ihrem Zimmer gesessen und Lieder ihres Lieblingspoeten gesungen. Das möchte sie auch heute abend tun. Und so stimmte sie “Oh, where have you been, my blue-eyed son? Oh, where have you been, my darling young one?” an, Bob Dylans Hard Rain’s A-Gonna Fall.

Mit Break It Up gelangte sie schließlich zum Anfang ihrer Karriere, bei der ersten Platte Horses. Diese hatte sie in den Tagen zuvor in voller Länge in der Hamer Hall gespielt. Mir gefiel dieser Abend in der Festival Hall besser, auch, da es sich um einen im Stehen handelte und wir nicht auf die Sitze in klassischem Konzertambiente verbannt wurden. Sicher, die Festival Hall ist kein Glanzstück der Akustik, aber sowohl Courtnery Barnett als auch Patti Smith kamen klar und deutlich herüber, anders als Metallica und Slayer, die mir mit miserablem Sound den Konzertort für Jahre vergault hatten.

Break It Up wurde von Patti Smith nach einem Traum geschrieben, erzählte sie, nach einem, in dem sie in den Wald geht und auf einer Lichtung eine Engelsstatue sieht, deren Schwingen in Ketten gelegt wurden. Ihr war klar, daß darinnen Jim Morrison steckte, und so rief sie “Break it up!”, damit er sich aus der Statue, aus dem Gestein befreien konnte.Sie forderte uns, die Zuhörer, auf, das auch heute abend auszrufen. Dem Wunsch wurde gern nachgegeben. Überhaupt wurde viel geklatscht, mitgesungen, mitgetanzt und mitgestampft.

Aint’t It Strange und Pissing In The River kamen als Nächstes. Sie beschrieb den Tod von Arthur Rimbaud, der ein Bein verloren hatte und im Krankenhaus im Sterben lag. Im Delirium träumte er davon, wie er mit dem Schiff nach Abyssinien reiste, um dort auf wilden Pferden zu reiten, wie er es in seinem Leben am liebsten getan hatte. So starb er nicht eines traurigen Todes, sondern mit dem Gedanken an etwas Schönes. Nach dieser Geschichte stimmte sie Beneath The Southern Cross an, ihr erster Ausflug in ihre jüngere Musikgeschichte, zum Album Gone Again.

Auch mit People Have The Power verweilte sie ein wenig in dieser Zeit. Ihr Aufruf, optimistisch zu sein und die Zukunft mitzubestimmen wurde begeistert aufgenommen. Für viele ein willkommener Kontrast zu den eher dunklen Winden, die uns dieser Tage umwehen.

Mit einem langen Jam entlang “Horses”, wie auf dem Album in den Song Gloria übergehend, beendete den regulären Teil ihres Auftritts. Natürlich mußte sie zum Encore auf die Bühne, und spielte zwei weitere sehr populäre Stücke: Bruce Springsteens “Because The Night” und den Rock’n’Roll Nigger.

Der Jubel war groß, und so dauerte es ein wenig, bis Ruhe eintrat. Mit dem A-capella vorgetragenen Liedchen Wing verabschiedete sie sich und ihre Band zum letzten Mal.

Beschwingt, gestärkt und optimistisch verließ ich diesen Hippie-Gottesdienst, traf Rosie, die Hüterin meines Fahrrads wieder,bedankte mich bei ihr und fuhr in der warmen Abendluft durch die Dockland nach Hause.

So schön kann Musik sein.

P.S. Dieser Artikel enthält mindestens einen Fehler, die Herkunft und Reihenfolge von Liedern auf Patti-Smith-Platten betreffend.

Eigentlich kein Wunder. Abgesehen von der fabulous fabulierenden Patti Smith liegen auch meine eigenen Erinnerungen auf einem Fundament aus zweiter Hand. Ich verbinde Patti Smith mit meiner Zeit in der Abendschule, mein Abitur nachholend, gemeinsam mit einem Freund, der mit anderen ein neues Zuhause in einem zu DDR-Zeiten vernachlässigten abrißreifen Haus in der Rostocker Nördlichen Altstadt gefunden hatte. In diesem Haus, in dem man auf der Toilette mit einem Wassereimer nachspülte, und der Eingang auf Bauchhöhe durch ein Kabel “vermint” war, welches Plattenspieler und Lautsprecher verband, glaube ich, zuerst Patti Smith gehört zu haben.

An Plattenläden, in die man ging, um einfach so die neueste Patti-Smith-Platte zu kaufen, war damals nicht zu denken. So begann meine Sammlung mit Mitschnitten aus “Duett – Musik für den Recorder” von Jugendradio DT64 und andren Radioquellen, zumeist dem NDR, dem “Westradio”, und wurde später ergänzt durch Geschenke und selbstgekauften Tonträgern, nachdem die Mauer offen geöffnet wurde.

Meine Horses-Kopie ist im wahrsten Sinne eine Kopie, für eine Handvoll Peseten auf einer Wanderung in Spanien erworben, gemeinsam mit Radio Ethopia. Man kann gar das Absenken der Plattennadel hören, und die Lieder sind in falscher Reihenfolge und unterschiedlich auf Hülle und auf der Kassette selbst abgedruckt.

Anyway, “don’t fuck around with the past. Let’s fuck around with the future. We are the future” (Patti Smith auf dem Konzert.)

P.P.S. Grüsse nach Hangzhou. Mal schauen, ob ich mal wieder vorbeikommen kann. Schade, daß Du umgezogen bist. Ich werde das Spülen mit dem Wassereimer vermissen;-)