12 Monate in 12 Tagen – Tag 1: Die Geschichte von Charles Montgomery Foster, einem Ureinwohner aus der Lake Condah Mission unweit von Heywood, und seiner Familie

Das Jahr 2021 neigt sich dem Ende entgegen. Zeit, um ein wenig in der eigenen Geschichte und der um uns herum zu graben.

Zu Silvester 2020/21 fuhr unsere Familie  nach Heywood, in den Westen Victorias. Unser Versuch, eine Studienfreundin und ihre Familie in Sydney zu besuchen und eine Reise dorthin durch verschiedene Orte in New South Wales, dem benachbarten Bundesstaat, anzutreten, war mal wieder am Virus gescheitert. Die Grenze zwischen den beiden Staaten, die wir oft, zumeist in der am Murray liegenden Doppelstadt Albury (in NSW) – Wodonga (Victoria), recht unzeremoniell überquert hatten, ist über die letzten zwei Jahre oft sowas wie die Grenze “ins Ausland” geworden. Seufz..

Die Urlaubsziele an der Küste sind zur Zeit im Sommer hoffnungslos ausgebucht, so daß wir uns umorientierten und nach Heywood fuhren. Ich hatte von dem Budj Bim Welterbe gehört, und hatte gehofft, daß uns lokale Ureinwohner mit einer Führung zum Verständnis desselben verhelfen. Leider kam es nicht dazu, da während der Feiertage am Ende des Jahres auch die Reiseführer im Weihnachtsurlaub waren.

Wie es der Zufall so will, las ich Wochen nach dem Urlaub eine Geschichte von Tony Wright in der Zeitung. Davon gleich ein wenig mehr. Tony Wright ist ein Journalist der Melbourner Tageszeitung The Age.

Der Budj Bim ist ein heute inaktiver Vulkan, der erst in jüngerer Vergangenhait, vor 30 bis 40 000 Jahren, entstand. Die Gurditjmara, in dieser Gegend heimische Aborigines, berichten in ihrer Schöpfungsgeschichte von dem Vulkanausbruch vor etwa 30 000 Jahren. Damit gehört diese Geschichte zu den ältesten erhalten mündlichen Überlieferungen in der Geschichte der Menschheit.

Mir ist bekannt, daß in der Gegend seit Jahrtausenden die Aborigines Aalnetze auslegen und Kanäle graben, um die Aale dort hinein gleiten zu lassen. Mit Sicherheit läßt sich diese Technik seit 6000 Jahren nachweisen. Weiterhin wurden auch mit Basalt gebauten Grundmauern von Hütten gefunden.

Die Besiedlung durch europäische Einwanderer begann hier 1841. Mehr als zwei Jahrzehnte später, 1867, wurde durch die anglikanische Kirche die Lake Condah Mission etabliert, in der die lokalen Ureinwohner der Gurditjmara zusamengetrieben wurden.

Als 1918 diese Mission geschlossen wurde, wurden mit der Ausnahme von vier älteren alle Aborigines in die Lake Tyers Mission in Gippsland verfrachtet, also auf die andere östliche Seite Victorias, hunderte Kilometer entfernt. Ein Teil des Landes wurde an aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrende Soldaten verteilt. Unter diesen Soldaten waren auch Aborignies, auch Gurditjmara. Diese aber waren von der Landverteilung ausgeschlossen. Land gab es nur für weiße Soldaten.

Diese Geschichte wiederholte sich nach dem Zweiten Weltkrieg. Trotzalledem, einige der Gurditjmara blieben bis zu den 1950ern  in der Gegend und nutzten die Kirche der Mission und schickten ihre Kinder auf die Schule dort, die bis 1948 existierte. Um dem ein Ende zu bereiten, wurde schließlich die Kirche zerstört und mit Ausnahme des Friedhofs, der Straße zur Mission und etwas Land mit den Überresten der Mission alles andere Gelände an Soldaten verteilt – wiederum mit Ausnahme der Aborigines, die im 2.Weltkrieg an der Seite weißer Australier gekämpft hatten.

Tony Wright war ein Schuljunge in den 50er Jahren, als er einen der Ureinwohner auf der Hauptstraße von Heywood bei einem wilden Tanz sah, angefeuert und/oder bespöttelt von den Einheimischen, die neugierig zusammen liefen und zuschauten. Tony schaute ihm in die Augen, und fand dort keinerlei Ausdruck von Humor. Erst viel später wurde ihm bewußt, was er dort gesehen hatte, ein Gesicht, welches eine Maske war, hinter der sich Verzweiflung verbarg.

Monty Foster war sein Name, und er gehörte zu den Ureinwohnern, die auf der Lake Condah Mission lebten. Er fing Aal und Hasen und verkaufte sie im Ort, reparierte Zäune und verdingte sich zu allerlei Gelegenheitsarbeit. Als junger Mann war er ein ausgezeichneter Läufer, bis er sich beim Holzhacken verletzte. Er war ein Boxer in den Zelten der lokalen Shows, mit denen sich die Leute von Heywood und Umgebung vergnügten.

Im Winter 1954 fuhr die Polizei zu seiner Familie hinaus. Sie fanden zwei seiner Töchter, Gloria, 13 Jahre alt, und Eunice, 9, auf dem Weg von der Schule nach Hause. Sie suchten auch nach deren sechsjährigen Bruder Ronnie, den sie schließlich bei einer Tante fanden. Die Polizei nahm diese drei Kinder mit sich und veranlaßten einen Prozeß gegen Monty und seine Frau Lyall, sie der Vernachlässigung ihrer Kinder bezichtigend.

Lyall war in Hamilton, wo sie wegen einer Tuberkulose-Erkrankung behandelt wurde, Monty war in der Nähe von Port Fairy auf einer Farm arbeitend.

Im Gerichtssaal standen viele Verwandte der Fosters, Tanten, Onkel, manche in den Uniformen, mit denen sie in den beiden Weltkriegen für die Armee gedient hatten, und bezeugten, daß sie sich sehr wohl um die Kinder gekümmert hatten.

Es nützte nichts. Die Bürokratie hatte es sich in den Kopf gesetzt, der Lake Condah Mission ein Ende zu bereiten und die dort noch Ansässigen zu vertreiben. Die drei Kinder wurden nach Melbourne verschickt, zu einem “Empfangszentrum” in Royal Park, und die Schwestern von ihrem Bruder getrennt. Schließlich gelangten alle drei in ein Waisenhaus in Ballarat.

Die Verwandten versuchten Monty zu erreichen. Zu spät, das Gericht war schneller.

In den nächsten Jahren, immer, wenn Monty etwas Geld beisammen hatte, trampte er nach Ballarat und gab seinen Kindern kleine Geschenke. Seine Versuche, die Behörden davon zu überzeugen, seine Kinder wieder nach Hause zu nehmen, scheiterten. Seine Frau konnte die Stille ihres kinderlosen Hauses nicht ertragen und zog nach Melbourne.

Als der kleine Tony, der spätere Journalist, Monty auf der Straße von Heywood tanzen sah, war Monty ein Mann ohne Zukunft, beraubt um seine Kinder und die Familie. Tony Wright lernte seine Geschichte erst viel später.

Dazu beigetragen hat Eurice, Montys Tochter, die seine Geschichte mit ihren Kindern teilte, und 1997 mit den Verfassern des “Bring Them Back Home”-Reports, “Bring sie nach Hause”, der Bericht, der Australiern und der Welt die Geschichte der Gestohlenen Generation, der Vertreibung und Trennung der Familien der Aborigines, vor die Augen führte.

Montys Tanz war seinem geistigen Zusammenbruch geschuldet. Er endete in der Psychatrie des Prince-Henry-Krankenhauses an Melbournes St.Kilda Road. Er starb 53jährig im Januar 1959, unterernährt und mit Wunden durch längere Bettlägerigkeit, wie seine Verwandten später erfuhren. Bis zum Ende seines Lebens war er ein Objekt eines paternalistischen Staates, ohne Rechte eines Staatsbürgers.

Wohl war den Behörden bekannt, wie sie seine Frau erreichen konnten. Es machte sich aber keiner die Mühe, und er wurde allein in einem Armengrab zur Ruhe gesetzt.

Seine Kinder wurden nach und nach aus dem Waisenhaus entlassen, wenn sie das Alter von 15 Jahren erreichten. Eunice fand zurück zu ihrer Mutter. Sie heiratete Jimmy Wright, einen Aborigine aus Sydney und hatte schließlich vier Kinder, 14 Enkel und 20 Urenkel. Sie behütete ihre Kinder und war vor Behörden stets auf der Hut, selbst, wenn es darum ging, einen Arzt zu Rate zu ziehen. Ihrer eigenen Kindheit beraubt, arbeitete sie vom Alter von 40 Jahren für 12 Jahre in einer Kinderpflege in Thornsbury, einem Melbourner Stadtteil.

Jimmy und Eurice kauften ein Haus in Branxholme, unweit der Lake Condah Mission. Der Gedanke ihres Vaters in einem Armengrab ließ Eurice und ihrem Mann keine Ruhe, schließlich borgten sie sich Geld von der Bank. Charles Montgomery Foster, mit vollem Namen, wurde schließlich auf dem Friedhof der Mission begraben. Lyall, Montys Frau, starb Tage später. Sie teilten sich am Ende auch ihren Todestag, den 22.Januar – er 1959, sie 1992. “Meine Mutter wartete, bis mein Vater, ihr Mann, nach Hause in sein Land zurückkehrte”, pflegte Eunice zu sagen.

Eunice Ina Wright starb im März letzten Jahres, 2020. Die Totenfeier fand an der Kirche der Lake Condah Mission statt. Nur ein paar Steine der Grundmauern stehen noch. Die Behörden hatten beschlossen, die Räumung der Mission zu beschleunigen, und zerstörten die Kiche 1957 mit 13 Stangen Dynamit.

Kurz danach tanzte Monty seinen letzten Tanz.

Ein Ausflug zu den Goldfeldern

In Melbourne, genauer in Flemington, findet jedes Jahr am ersten Dienstag im November das Pferderennen statt, “the race that stops the nation”, das Rennen, währenddessen die Nation den Atem anhält, wie es so schon heißt: Der Melbourne Cup. Tatsächlich berichteten mir Leute aus Sydney, mit denen ich am Tag darauf sprach, daß sie um drei Uhr die Arbeit ruhen ließen, um das Rennen zu schauen.

Nun, wir haben das Rennen dieses Jahr ignoriert und sind hinaus zu den Goldfeldern gefahren, nach Ballarat und Umgebung. 1951 brach in Victoria wie in New South Wales das Goldfieber aus. Wohl hatte man schon vorher Gold gefunden, aber die Funde waren sporadisch, und die Regierenden hatten kein großes Interesse. Warum, kann man sich mit Governeur Charles La Trobe erklären, der sich nach dem Ausbruch beklagte, daß es keine Arbeiter mehr in Melbourne gäbe, da jeder alles stehen und liegen ließ, um sein Glück mit der Goldsuche zu suchen.

Auf der Hinfahrt verließen wir kurz vor Ballarat die Schnellstraße und fuhren nach Creswick. Den vergangene Reichtum der Stadt läßt sich an den viktorianischen Gebäuden links und rechts der Hauptstraße ablesen, an Hotels,  Postamt und Banken. Creswick ist auch der Geburtsort der Künstlergeschwister der Lindsay-Familie, unter ihnen Norman Lindsay, Schriftsteller, Karrikaturenzeichner, Maler und Bildhauer.

Er verewigte seine Geburtsstadt in dem Roman “Redheap”, in dem er sich über die wohlgesitteten Bürger seiner Heimatstadt lustig machte. Das Werk war den Einheimischen gar nicht recht und landete erst einmal 30 Jahre auf der Liste der Zensoren.

Wir hatten einen schönen Frühlingstag erwischt und beendeten diesen Ausflug mit einem Spaziergang um den St.Georges Lake, einen künstlich angelegten See, um die Wasserersorgung der Stadt und der Goldmühle zu sichern. Das passierte um 1895. Die Stadt hatte damals 25 000 Einwohner heute sind es etwas mehr als 3000.

Es war ein schöner Spaziergang und erinnerte mich etwas an Ausflüge an Seen in meiner alten Heimat, in Mecklenburg.

In Ballarat konnten wir unter anderem sehen, was der Sturm, der am Freitag davor durch unsere Weltgegend gefegt war, an Schaden angerichtet hatte. Der Botanische Garten war geschlossen, wir konnten umgestürzte Bäume sehen. Diese Frühlingsstürme sind nichts Ungewöhnliches, ich glaube aber, dieser Sturm war etwas heftiger als gewöhnlich.

Auf der Rückfahrt schauten wir uns Clunes an, wo 1851 in Victoria der Goldrausch began. Wir plauschten mit den im Sonntagsstaat sitzenden Rentnern, die gemeinsam das Pferederennen im Fernseher anschauten und darauf wetteten. Ich fotografierte das Denkmal für die im 1.Weltkrieg Gefallenen, ein einsamer Soldat, Gewehr bei Fuß, stellvertretend für all diese Denkmäler, die es praktisch in jedem australischen Orte findet. Die meisten sind sehr ernste Angelegenheiten, nicht von Heldentum, sondern von Trauer geprägt. Der Weltkrieg kostete vielen vielen jungen Australiern das Leben.

Kosmische Botschaften

Vor ein paar Jahren habe ich meinem Sohn ein Buch geschenkt. Science Fiction, die mir eher zufällig über den Weg gelaufen ist. Wie das so manchmal ist, hat dieses Buch den Beschenkten nicht besonders beeindruckt. Aber, da das Geschenk im Hause blieb, konnte ich es selbst lesen und wurde so ein Fan von Becky Chambers.

“the long way to a small angry planet”, zu deutsch  “Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten”, ist das erste von bisher vier Büchern der Wayfarers Series. Diese Bücher kann man sicher auch alleinstehend lesen, auch wenn sich einige Personen und Themen überschneiden. Ich würde empfehlen, sie zusammen und in der Reihenfolge ihres Erscheinens zu lesen. Ich selbst habe bisher die ersten drei verschlungen, das vierte Buch erschien erst kürzlich. Dank Lockdown bin ich seit ein paar Monaten nicht in einem Buchladen gewesen, und habe es auch noch nicht geschafft, es online zu bestellen. Wahrscheinlich werde ich es mir in zwei Wochen kaufen, wenn ich mich dann wieder in Person in einer Buchhandlung umschauen kann.

Was mir an den Büchern von Becky Chambers gefällt, ist der positive Ton. Ich bin mit Utopien aufgewachsen, wenn ich mich recht erinnere, hieß die ganze Kategorie damals auch “utopische Literatur”. In den letzten Jahren sind mir zu viele Dystopien über den Weg gelaufen. Zumeist scheint Zukunft heute etwas zu sein, wovor wir uns eher fürchten.

Wobei die Bücher von Becky Chambers nicht “Friede Freude Eierkuchen”-Gechichten sind. Sie werden aber bevölkert von Wesen, Menschen und Weggefährten anderer Zivilisationen, die zumeist  mehr in Aufbau und Erkundung denn an Zerstörung interessiert sind.

Im dritten Buch, record of a spaceborn few, war ich denn doch platt, weil – jenseits der kosmischen Umgebung, kam mir der Gesellschaftsentwurf sehr vertraut vor. Die Rede ist von der Exodus Fleet, die die Erde verließ, als diese unbewohnbar wurde. Sie nahm mit sich mit all das, was den Bewohnern als wiederverwertbar erschien, und trieb durchs Weltall auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Schließlich trafen sie auf andere Zivilisationen, und die Gesellschaft fand sich im Zwiespalt zwischen egalitärer Selbstgenügsamkeit und einer reicheren, aber auch profitorientierteren, egoistischeren Außenwelt.

Während der Pandemie fand ich ein weiteres schmales Bändchen von Becky Chambers, welches nicht zur Wayfarers-Serie gehört, “To be taught if fortunate”. Es endet mit der Botschaft von Kurt Waldheim, 1977 Generalsekretär der Vereinten Nationen, die auf der Goldenen Schallplatte, the Golden Record, verewigt wurde. Diese Schallplatte wurde mit den Raumsonden Voyager 1 und 2 in den Weltraum geschossen, und treibt seit damals durchs All. Inzwischen hat sie die Umlaufbahn des inzwischen zum Zwergplaneten degradierten Pluto überquert und ist auf dem Wege hinaus aus unserem Sonnensystem.

Die Goldene Schallplatte enthält auf 90 Minuten, ermöglicht durch eine gegenüber einer gebräuchlichen Schallplatte halbierten Abspielgeschwindigkeit von 16 2/3 Umdrehungen per Minute, die Botschaften von Kurt Waldheim – im wunderbar östereichischem Englisch – und US-Präsident Jimmy Carter, Töne von Beethovens 5. Sinfonie und Chuck Berrys Johnny B.Good, sowie “Hallos” in vielerlei Sprachen, von Alt-Sumerisch bis hin zu einem Gruß in Chinesisch an potentielle intergalaktische Zuhörer: “Freunde im All, habt ihr schon gegessen? Kommt, besucht uns, wenn ihr etwas Zeit habt.”

Beckys Chambers Eltern sind eine Astrobiologin und ein Satellitentechniker, und so mag es nicht verwundern, daß ihre Bücher durch Zeit und Raum reisen.

Die Geschichte um die Goldene Schallplatte ist ebenfalls eine Liebesgeschichte. Anne Druyan und Carl Sagan, beide an der Schallplatte beteiligt, telefonierten am 1.Juni 1977 miteinander und beschlossen zu heiraten. Zwei Tage später wurden Annes Hirnströme, ihr EEG, aufgezeichnet. Diese sind auch auf der Schallplatte zu finden.

Letztes Jahr veröffentlichte das Melbourner DJ-Duo The Avalanches das Album “We Will Always Love You”. Die Geschichte der Goldenen Schallplatte, von Anne und Carl inspirierte diese Platte, und es finden sich Schnipsel von der Voyager-Botschaft auf diesem Album wieder, wie die Stimme von Kurt Waldheim und das “Hallo von den Kindern der Erde”.  Die Platte ist das Resultat tausender Samples und viel viel Arbeit von  Robbie Chater und Tony Di Blasi. In einem der Stücke finde ich Alan Parsons “Eye in the Sky” wieder, und es wird gesungen und gerapt, von Sampa The Great, Kurt Vile, Mick Jones (The Clash), Perry Farrell (Jane’s Addiction), um nur einige zu nennen.

Ich habe Ausschnitte von diesem Album bei PBS im Radio gehört, als ich, von meiner Tochter aus dem Krankenhaus kommend, im Dunkeln die Bucht entlang nach Hause fuhr. Es ist Musik, die mich in den letzten Monaten immer wieder begleitet hat. Es gibt darin so viel zu finden. Fantastisch!

“Wir treten aus unserem Sonnensystem in das Weltall und suchen nur Frieden und Freundschaft, um zu lehren, wenn man sich an uns wendet, und zu lernen, wenn es das Glück will. Wir wissen sehr wohl, daß unser Planet und all seine Bewohner nur ein kleiner Teil des unermeßlichen Weltraums sind, der uns umgibt, und wir unternehmen diesen Schritt in Demut und Hoffnung.“

April, April, der weiß nicht, was er will

Wir haben mal wieder eines dieser Frühlingswochenenden, an denen es regnet und die Sonne scheint, die Sonne scheint und es regnet. Manchmal alles zur gleichen Zeit und dann gibt es einen Regenbogen, wie an diesem Freitag, als ich im letzten Tageslicht nach Hause radelte. Es ist Oktober, und, da hier im Süden alles ein halbes Jahr später (oder früher?) passiert, ist unser Oktober der April der Nordhalbkugel.

Meine Garderobe lichtet sich zusehends. Nach zwei  Wintern im Lockdown sind so einige Kleidungsstücke ausgefranst, durchgescheuert, angerissen. Wenn sich dann die freie Welt des Einkaufs öffnet, gibt es auch anderes zu tun, wie zu verreisen oder Freunde treffen oder ins Konzert gehen oder.. Einkaufen findet bei mir relativ unregelmäßig statt und ist eher ein Zeichen von Langeweile als ein Bedürfnis. An Langeweile hat es in den letzten Monaten nicht gemangelt, an Einkaufsmöglichkeiten schon. Ich bin aber auch kein großer Freund des Online-Shoppens. So lichtet sich nun meine Garderobe.

In den nachsten Tagen werden wir Melbourner den Weltrekord an Tagen in Lockdown übernehmen. Der steht bei 245 Tagen und wird von Buenos Aires gehalten. Hochrechnungen ergeben, daß wir dadurch ca. 30 000 Menschenleben in Melbourne gerettet haben.

Es hat erstaunlicherweise letztes Jahr weniger Selbstmorde als üblich gegeben. Es wird vorallem auf erhöhte Sozialleistungen zurückgeführt. Leben mit “Newstart”, inzwischen “Jobseeker” genannt, ist ziemlich lausig und angesichts ständig steigender Mieten kein Zuckerschlecken. Viele, die darauf angewiesen waren, berichten, daß sie sich z.B. mal ein neues Paar Schuhe gekauft haben, was sie sich sonst nicht leisten konnten.

Im Moment ist in der Hinsicht so ziemlich alles beim Alten. Unsere Bundesregierung ist halt “konservativ”, wie es so schön heißt. Wobei ich das eher als “von gestern” übersetzen würde..

Ein wenig hat mich diese ganze Pandemie an 18 Monate Armee erinnert, die ich als junger Mann in der DDR ableisten mußte. Für die letzten Tage gab es ein Maßband von 150 cm Länge, an dem Tag für Tag ein Zentimeter abgeschnitten wurde. Ich kann mich an meine damalige Laune nicht mehr erinnern, aber am Ende stand ein “Endlich!” So geht es mir jetzt. Es wird geimpft, und geimpft, und wir durchbrechen alle paar Wochen neue “Schallmauern” und dürfen dann ein bißchen mehr. Hier in Melbourne rechnet man mit 70% Doppeldosen um den 26.Oktober, mit 80% um den 5.November, und dann soll es halt so halbwegs normal werden. Wir werden sehen.

Derzeit ist es uns erlaubt, 15 km von Zuhase zu “verreisen”, und meine Frau und ich haben dies zu einem Samstagmorgenausflug nach Elsternwick ausgenutzt. Der Name “Elster” stammt tatsächlich aus dem Deutschen. Der australische Farmer und Politiker Charles Ebden hat hier Mitte des 19.Jahrhuderts ein stattliches Anwesen errichtet und es “Elster” genannt, sowie eine seiner Farmen “Carlsruhe”. Geboren in Südafrika, am Kap der Guten Hoffnung, erhielt er seine Bildung in England und in Deutschland, in Karlsruhe.

Es war Samstag, Sabbat für die nicht unbeträchtliche Zahl orthodoxer Juden, die so in ihrem “Sonntagsstaat” zu sehen waren, schwarze Anzüge, schwarze Hüte, Kippas. Etwa ein Sechstel der Bevölkerung des Staddteils ist jüdisch, was man auch in den Geschäften und Gastsstätten an der Einkaufsstraße merkt. In Elsternwick und angrenzenden Stadtteilen, wie St.Kilda und Caulfield, haben viele Auswanderer aus Mittel- und Osteuropa, die vor den Nazis geflohen sind, ein neues Zuhause gefunden. Für mich ist es ein Paradies fürs Essen “wie Zuhause”, ob Gulasch, Brot oder Kuchen.

Am Straßenleben merkte man kaum, das wir noch im Lockdown sind, Autos stapelten sich hinter der Straßenbahn, die langsam durch die Glenhuntly Road zuckelte, Menschen flanierten vor den zweistöckigen Geschäftshäusern. Unten ist das Geschäft oder Cafe, darüber Lagerraum oder Büro, oder ab und an auch noch, wie wahrscheinlich zur Entstehungszeit, die Wohnung der Ladenbesitzer. Das ist aber inzwischen sehr selten geworden.

Wir haben in einem Imbiß Falafel, Hommus, Hühnerflügel, Falafeln und Salad mit Rotkohl gekauft. An der Wand hingen Karten vom Nahen Osten und Bilder von Jerusalem, wir warteten und ich blätterte in einem Fotobuch überToledo. Zum Essen durften wir nicht bleiben, so sind wir in eine Seitenstraße gewandert und haben uns auf den Kantstein gesetzt. Ganz wie in meiner Jugend in Budapest, wenn wir gerade genug hatten, um uns Essen im Supermarkt zu kaufen, aber nicht genug, um in eine Gaststätte zu gehen. Die Welt und die Gründe ändern sich, aber manches wiederholt sich doch.

Seit heute ist hier nun Sommerzeit, es bleibt eine Stunde länger hell. Die Zeitdifferenz zu Deutschland beträgt im Sommer 10 Stunden, im Winter nur acht. Das gilt für Melbourne und Sydney, die Bundesländer Victoria und New Sough Wales. Die Queensländer im Norden haben keine Sommerzeit, sind nun also eine Stunde von uns “entfernt”, Adelaide ist immer eine halbe Stunde zurück, und Westaustralien mit Perth gar zwei, im Sommer drei Stunden. Am Highway durch die Nullarbor Plains liegt Eucla, und dort, in the middle of nowhere, in der Mitte des großen Nichts, stellen sie die Uhren gegenüber Perth um 45 Minuten vor. Diese Zeitzone gibt es aber offiziell gar nicht.

Was sich aber heute nicht geändert hat, ist die Ausgangssperre. Um neun Uhr abends müssen wir zuhause sein, für noch ein paar Wochen. Seufz..

Das Ende der Saison

Gestern nachmittag, auf dem Nachhauseweg mit dem Rad, färbt sich der Himmel leicht bedrohlich graublau ein, und es riecht nach Schnee. Der fällt zwar nicht wirklich in Melbourne,  was das Ganze nicht besser macht. Eisiger Regen durchnäßt langsam meine Jacke.

Das Wetter wäre für die Western Bulldogs im diesjährigen Grand Final gut gewesen. Nur findet dieses auch dieses Jahr nicht in Melbourne statt. Das MCG steht leer neben dem Yarra, ich bin gerade einen Tag zuvor mit einem Bekannten daran vorbeigeradelt. da war nichts los. Das Ende der Footysaison findet in Perth statt, zwischen uns und dem Austragungsort liegt fast ein ganzer Kontinent, unter anderem der(die, das?) Nullarbor Plain, eine Wüste ohne Bäume, mit einem der längsten Straßenabschnitte der Welt ohne Kurve, 145km, 90 Miles Straight. Es klingt romantisch oder extrem langweilig, das ist sicher Ansichtssache. Ich bin diese Strecke noch nicht gefahren, auch nicht mit dem Indian Pacific, dem Zug. Im allgemeinen mag ich die australische Weite, sie ist mir bis jetzt selten langweilig geworden.

Schnee gibt es tasächlich immer noch in Australien, in Falls Creek noch fast einen halben Meter davon, ich habe heute nachgeguckt. Vor einem Monat wäre dort der Hoppet gewesen, und ich hätte mit anderen Helfern am Washbed Creek gestanden und warme Getränke an vorbeisausende ambitionierte Skiathleten oder and verschnaufende Freizeitskier ausgeteilt. Am Beginn der Schneesaison schrieb mich Sue vom veranstaltenden Birkebeiner Club an, ob ich wieder helfen wolle, und ich habe ihr mit einem vagen “ich weiß nicht so recht” geantwortet. Man mag sich in dieser Zeit nicht so recht festlegen, und so blieb es dabei. Im August wurde es klar, daß auch dieses Jahr, das zweite Mal in Folge, nichts aus dem Skimarathon wird. Sue saß in Sydney fest und konnte nicht nach Hause. Sie macht das beste daraus und amüsiert sich mit ihren Enkelkindern.

In Perth hingegen ist es warm, und die Stadt hat dieses Jahr die Möglichkeit, vor 60 000 Zuschauern das Footy-Endspiel auszutragen. Spannend war es, die Doggies waren auch zur Halbzeit in Führung, in der großen Pause sangen die Birds of Tokyo, eine bekannte australische Band, die hier zuhause ist, und bis zur Hälfte des dritten Viertels sah es für die ‘Dees”, die Melbourne Demons, gar nicht gut aus. Dann aber kamen sie in Fahrt, und am Ende waren sie nicht zu stoppen. Zur Freude von Bruce, der seit ganzes Erwachsenenleben auf eine Meisterschaft seines Klubs gewartet hat, seit 1964. Einen Wermuttropfen hat es trotzdem: seit Jahrzehnten ist er zahlendes Mitglied des MCC, des Melbourne Cricket Clubs, der das MCG begründet hat, und auf dem Alteingesessene ihre Neugeborenen auf die Wartelist setzen, damit sie als Erwachsene Mitglied werden können. Natürlich wäre er dieses Jahr gern im Stadion gewesen, wenn sein Klub endlich mal gewinnt.

Moreland: Die Bahn geht nach oben

Seit heute dürfen wir Melbourner uns aus unserer 5km-Umgebung herauswagen. Was meine Frau und ich auch getan haben. Ich habe sie auf eine Magical Mystery Tour geschickt, wr sind mit dem Fahrrad nach Norden geradelt, bis an die Grenze unserer 10km, die wir nun bereisen dürfen. Ansonsten sind der Melbournerin nun Picknicks erlaubt. Was ihr bei vielleicht 15 Grad, starkem Wind und gelegentlich Schauer ein müdes Lächeln entlockt. Das Picknick haben wir uns später auf. Heute haben wir uns mit einer kleinen Pause und einer Schachtel Keksen gegenüber der Bahnstation Royal Park, wo der Melbourner Zoo zuhause ist, begnügt.

Hinaus aus unserem Wohnviertel ging es durch die Docklands, ein in den letzten 20 Jahren entstandenen Neubauviertel mit vielen Hochhäusern. Von dort wollte ich den Moonee Ponds Creek, ein kleines Bächlein, unter den Stelzen, auf denen der Tullamarine Freeway, eine Mautstraße zum Flughafen, ruht, entlang radeln. An der Autobahnabfahrt zur Innenstadt, wie an anderen Straßen, die in die Stadt führen, stand polizei und kontrollierte. Die Bahn selbst war am morgen stillgelegt worden. Der Grund: eine Demo von “Freiheitskämpfern”, die mit den derzeitigen Beschränkungen, dem Impfen und dem Leben im allgemeinen und im besonderen nicht zufrieden sind. Ich sag nur: Freier Fall für freie Bürger.

Nicht das mir das Leben mit Lockdown 6.0 nicht auf den Wecker geht. Aber das ist eine andere Geschichte und soll heute nicht mein Thema sein. Nur so viel: Es hat auch mein geistiges Leben etwas lahmgelegt, Energie und Laune befinden sich nicht unbedingt auf höchstem Niveau.

Der Fahrradweg am Moonee Ponds Creek ist mir sehr vertraut, vier Jahre lang bin ich ihn entlang zur Arbeit nach Kensington geradelt. Heute habe ich aber Kensington wortwörtlich links liegen lassen.

Etwas weiter nördlich weitet sich das Grün, der bereits erwähnte Royal Park kommt in Sicht. Hier ist, wie gesagt, der Zoo zur Hause, der zur Zeit mit Sicherheit geschlossen ist, wie so manches. Nach der Pause setzen wir unseren Ausflug fort, nun im wesentlichen entlang der Bahn, die nach Upfield führt. Hier hat der Fahrradweg nicht viel Platz, oft ist es nur ein kleiner Pfad eingequetscht zwischen Stacheldrahtzaun der Bahnlinie und Lagerhäusern des Stadtviertels von Brunswick.

Plötzlich kommt ein großes Wandgemälde ins Blickfeld. Jacinda Ardern, mit ernstem Gesicht, eine Muslimin umarmend, gemalt an ein mehr als zwanzig Meter hohes Silo. Es erinnert an das Massaker von Christchurch im März 2019. 51 Menschen starben, als ein gewalttätiger haßerfüllter Australier in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch  eindrang und das Feuer eröffnete.

Für mich symbolisiert dieses Wandgemälde einen signifikanten Unterschied zwischen meiner derzeitigen Heimat und unseren Nachbarn jenseits des Tasman. Ich hätte keinen aus unserer Bundesregierung für fähig gehalten, eine echte menschliche Regung zum Ausdruck zu bringen. Der derzeitige Ministerpräsident hat unter anderem als Minister für Einwanderung die Verunmenschlichung dieses Landes vorangetrieben.  Das Wandgemälde ist für mich aber auch ein Ausdruck meiner Heimatstadt und seiner Kultur und Haltung.

Schließlich erreichen wir die Moreland Station, einen neuen Bahnhof. Das alte Backsteingebäude, wie seine Geschwister an der gleichen Linie aus viktorianischer Zeit, aus dem 19. Jahrhundert stammend, sitzt unterhalb der Bahn, die sich hier in die Lüfte erhebt. Die Landesregierung hat in den letzten Jahren bisher ca. 50 Schranken entbehrlich gemacht, an denen die Autos, Fahrräder und Menschen warten mußten, während der Zug durchfuhr.

Das Projekt stieß zunächst auf viel Ablehnung. Von Verschandelung des Stadtbildes war die Rede, von Ängsten, Anwohner könnten ihre Privatsphäre verlieren, wenn der Zug über ihre Hintergärten hinweg fuhr. Diese Stimmung, sicher auch von unseren rechtsgerichteten Revolverblättern und privaten Fernsehstationen geschürt, hat sich doch geändert. Unter den Gleisen sind Parks entstanden, Spielplätze, Skateparks, Basketballfelder und mehr, und Stadtteile, mehr als 100 Jahre durch die Bahntrassen getrennt, sind nun miteinander verbunden. 1911 wurden auf Drängen der Einwohner 270 Bäume neben dem Bahnhof gepflanzt, dieser Park wurde später Gandolfo Park genannt, nach dem ersten Bürgermeister von Coburg, 1968, gewählt, der nicht von den Britischen Inseln stammte. Es ist erfreulich, daß sich heute mehr Grün dazugesellt.

Die Inspiration für die Namen der Stadtteile, Brunswick – Braunschweig – und Coburg ist die Herkunft und Abstammung des englischen Königshauses. Es bedurfte des 1.Weltkrieges, daß sich dieses von seinem deutschen Namen, Haus Sachsen-Gotha und Coburg, verabschiedete und  sich seitdem Haus Windsor nennen, nach einem ihrer Schlösser. Wenn man Engländer ärgern möchte, dann erzähle man ihnen, daß sie von deutschen Einwanderern regiert werden.

Wir nehmen uns Zeit, die Umgebung des Bahnhofes zu erlaufen. Kleine cottages, weatherboard houses, weißgemalte Holzhäuser, und hundert Jahre alte Steinhäuschen, umsäumen die Seitensstraßen, es grünt und blüht der Frühling in den Vorgärten. Brunswick und Coburg waren keine Stadtteile der Reichen. Das fanden auch die Missionsschwestern vom Heiligsten Herzen Jesu, die Missionary Sisters of the Sacred Heart aus Hilstrup, Münster. 5 Missionsschwestern wurden 1928 nach Melbourne gesandt und gründeten hier ein Krankenhaus, welches 1939 an der Moreland Street seine Pforten öffnete.

Nach dem zweiten Weltkrieg, als Australien das Ziel einer Auswanderungswelle aus der Alten Welt, noch kriegszerstört und arm, wurde, siedelten viele Einwanderer aus Italien, Jugoslawien, Griechenland, der Türkei und anderswo in Brunswick und Coburg. Bis heute prägen sie diese  Stadtteile. In den letzten Jahrzehnten zogen hier viele junge Menschen und Familien hierher. Gaststätten, Kneipen mit Live Music, Bäckereien und Cafes sind an der Sydney Road, der vielbefahrenen Hauptstraße mit der Stradßenbahn in der Mitte, zu finden. Ich versuche in einer französisch angehauchten Bäckerei Brot zu bekommen. Das ist ausverkauft. Es gibt aber Croissants und kleine Gebäckstückchen und Törtchen, mit denen wir dann vorlieb nehmen. Wenn wir kein Brot haben, können wir zumindest Kuchen essen!

People Have The Power

Die Festival Hall in North Melbourne am Donnerstagabend: Patti Smith gibt ihr letztes Konzert in Australien. Hierher zu fliegen ist anstrengend für sie geworden, sagt sie, und wenn dann noch die Organisation für eine ganze Band dazukommt, dann wird ihr das langsam zu viel. Sie mag vielleicht noch einmal kommen, aber halt nicht mit voller Band.

Ich hatte ihre Musik, ihr Dancing Barfoot, schon morgens im Kopf, und abends auf dem Weg zum Konzert. Eine Vergeßlichkeit wurde unangenehm für mich: Was sollte ich ohne Fahrradschloß mit meinem Rade anfangen? Ich beschloß, eine junge Frau zu fragen, die gerade ihres abschloß. Sie nahm sich auch meines Rades an, so daß es während des Konzertes sicher war.

In der Festival Hall angekommen, sah ich recht viele Frauen. Sicher, Patti Smith ist auch Wegbereiterin, wenn es um Frauen in Rock(musik) geht.

Zunächst spielte aber Courtney Barnett. Die junge einheimische Sängerin freute sich, vertraute Gesichter aus North Melbourne zu sehen, darunter Mama und Papa. Fast wäre sie nicht auf die Bühne gekommen, scherzte sie: Sie hatte ihren Eltern ihr Armband gegeben.

Courtney spielte fast ausnahmslos Material von ihrer Platte “Sometimes I sit and think, and sometimes I just sit.” Ihre Melbourner Geschichten wurden freundlich aufgenommen. Sie fing langsam und fast beschaulich an, mit Dead Fox. More people die on the road than in the ocean maybe we should mull over culling cars instead of sharks. Mir gefallen ihre lakonischen Bemerkungen und die Zitate aus dem Leben in Melbourne, ob es um den Hauskauf in Depreston geht oder den Elevator operator auf dem Weg in die Stadt, mit der 96 von St.Kilda zur Swanston Street und dann hinauf ins Nicholas Building, eines der alten Hochhäuser aus dem 19.Jahrhundert. Sie ist aber wirklich keine “Liedermacherin”; sie und ihre Band rocken ganz ordentlich. Mir machte das Zuschauen und Zuhören Spaß.

Während Courtney Barnett freundlich aufgenommen wurde, wurde Patti Smith ein frenetischer Empfang beschert. Los ging es mit Dancing Barfoot von der Platte Wave, mit Pumping (My Heart) ging es noch weiter zurück, zu Radio Ethopia. Auch mit Ghost Dance blieb sie in den Siebzigern, das Lied ist auf ihrem dritten Album Easter.

Den nächsten Song sagte sie wie folgt an: Mit 15 hätte sie in ihrem Zimmer gesessen und Lieder ihres Lieblingspoeten gesungen. Das möchte sie auch heute abend tun. Und so stimmte sie “Oh, where have you been, my blue-eyed son? Oh, where have you been, my darling young one?” an, Bob Dylans Hard Rain’s A-Gonna Fall.

Mit Break It Up gelangte sie schließlich zum Anfang ihrer Karriere, bei der ersten Platte Horses. Diese hatte sie in den Tagen zuvor in voller Länge in der Hamer Hall gespielt. Mir gefiel dieser Abend in der Festival Hall besser, auch, da es sich um einen im Stehen handelte und wir nicht auf die Sitze in klassischem Konzertambiente verbannt wurden. Sicher, die Festival Hall ist kein Glanzstück der Akustik, aber sowohl Courtnery Barnett als auch Patti Smith kamen klar und deutlich herüber, anders als Metallica und Slayer, die mir mit miserablem Sound den Konzertort für Jahre vergault hatten.

Break It Up wurde von Patti Smith nach einem Traum geschrieben, erzählte sie, nach einem, in dem sie in den Wald geht und auf einer Lichtung eine Engelsstatue sieht, deren Schwingen in Ketten gelegt wurden. Ihr war klar, daß darinnen Jim Morrison steckte, und so rief sie “Break it up!”, damit er sich aus der Statue, aus dem Gestein befreien konnte.Sie forderte uns, die Zuhörer, auf, das auch heute abend auszrufen. Dem Wunsch wurde gern nachgegeben. Überhaupt wurde viel geklatscht, mitgesungen, mitgetanzt und mitgestampft.

Aint’t It Strange und Pissing In The River kamen als Nächstes. Sie beschrieb den Tod von Arthur Rimbaud, der ein Bein verloren hatte und im Krankenhaus im Sterben lag. Im Delirium träumte er davon, wie er mit dem Schiff nach Abyssinien reiste, um dort auf wilden Pferden zu reiten, wie er es in seinem Leben am liebsten getan hatte. So starb er nicht eines traurigen Todes, sondern mit dem Gedanken an etwas Schönes. Nach dieser Geschichte stimmte sie Beneath The Southern Cross an, ihr erster Ausflug in ihre jüngere Musikgeschichte, zum Album Gone Again.

Auch mit People Have The Power verweilte sie ein wenig in dieser Zeit. Ihr Aufruf, optimistisch zu sein und die Zukunft mitzubestimmen wurde begeistert aufgenommen. Für viele ein willkommener Kontrast zu den eher dunklen Winden, die uns dieser Tage umwehen.

Mit einem langen Jam entlang “Horses”, wie auf dem Album in den Song Gloria übergehend, beendete den regulären Teil ihres Auftritts. Natürlich mußte sie zum Encore auf die Bühne, und spielte zwei weitere sehr populäre Stücke: Bruce Springsteens “Because The Night” und den Rock’n’Roll Nigger.

Der Jubel war groß, und so dauerte es ein wenig, bis Ruhe eintrat. Mit dem A-capella vorgetragenen Liedchen Wing verabschiedete sie sich und ihre Band zum letzten Mal.

Beschwingt, gestärkt und optimistisch verließ ich diesen Hippie-Gottesdienst, traf Rosie, die Hüterin meines Fahrrads wieder,bedankte mich bei ihr und fuhr in der warmen Abendluft durch die Dockland nach Hause.

So schön kann Musik sein.

P.S. Dieser Artikel enthält mindestens einen Fehler, die Herkunft und Reihenfolge von Liedern auf Patti-Smith-Platten betreffend.

Eigentlich kein Wunder. Abgesehen von der fabulous fabulierenden Patti Smith liegen auch meine eigenen Erinnerungen auf einem Fundament aus zweiter Hand. Ich verbinde Patti Smith mit meiner Zeit in der Abendschule, mein Abitur nachholend, gemeinsam mit einem Freund, der mit anderen ein neues Zuhause in einem zu DDR-Zeiten vernachlässigten abrißreifen Haus in der Rostocker Nördlichen Altstadt gefunden hatte. In diesem Haus, in dem man auf der Toilette mit einem Wassereimer nachspülte, und der Eingang auf Bauchhöhe durch ein Kabel “vermint” war, welches Plattenspieler und Lautsprecher verband, glaube ich, zuerst Patti Smith gehört zu haben.

An Plattenläden, in die man ging, um einfach so die neueste Patti-Smith-Platte zu kaufen, war damals nicht zu denken. So begann meine Sammlung mit Mitschnitten aus “Duett – Musik für den Recorder” von Jugendradio DT64 und andren Radioquellen, zumeist dem NDR, dem “Westradio”, und wurde später ergänzt durch Geschenke und selbstgekauften Tonträgern, nachdem die Mauer offen geöffnet wurde.

Meine Horses-Kopie ist im wahrsten Sinne eine Kopie, für eine Handvoll Peseten auf einer Wanderung in Spanien erworben, gemeinsam mit Radio Ethopia. Man kann gar das Absenken der Plattennadel hören, und die Lieder sind in falscher Reihenfolge und unterschiedlich auf Hülle und auf der Kassette selbst abgedruckt.

Anyway, “don’t fuck around with the past. Let’s fuck around with the future. We are the future” (Patti Smith auf dem Konzert.)

P.P.S. Grüsse nach Hangzhou. Mal schauen, ob ich mal wieder vorbeikommen kann. Schade, daß Du umgezogen bist. Ich werde das Spülen mit dem Wassereimer vermissen;-)

 

Ostern 2017

.. waren wir unterwegs, E. und Familie zu treffen, wie seit Jahren üblich – wenn nicht was dazwischen kommt. Auch dieses Mal haben wir einen Treffpunkt “in der Mitte” gesucht, dieses Mal einen Campingplatz nahe Canberra, der Hauptstadt Australiens, oder auch: das hiesige Bonn (Bundeshauptstadt ohne nennenwertes Nachtleben).

Die Canberra Times vermeldete unter anderem, daß beide Eltern des “durchschnittlichen Hauptstädters” in Australien geboren sind – anders als z.B. in Melbourne, wo im Durschschnitt ein Elternteil zugewandert ist. Es bestätigt meinen Eindruck, daß Canberra sehr bleichgesichtig ist, um mal mit Karl May zu reden.

Wir machten uns am Samstagnachmittag auf den Weg den Hume Highway hinauf. “It takes around nine hours / to clear the Hume Highway” singt Tim Rodgers. Wir brauchen aber nicht so weit zu fahren, und wir haben auch Gott sei Dank nicht so einen traurigen Anlaß wie den, den er im “Paragon Cafe” beschreibt.

Trotzdem ist es schon ein Endchen bis Chiltern, unserem ersten Nachtquartier. Der Weg ist vertraut, von meinen Winterfahrten in die Berge, nach Falls Creek. Nur bleibt mir dieses Mal die Nachtfahrt die gewundenen Straßen hinauf erspart. In Glenrowan machen wir halt. Hier wurde der Buschräuber Ned Kelly gestellt. Die Australier und Kriminelle.. irgendwie kommt mir dieses “Heldentum” etwas spanisch vor.

Wir halten also bei Ned Kelly in Glenrowan an, ich knipse ein Foto der übergroßen Statue, und wir stärken uns bei Kaffee und Kuchen in den Teestuben.

In der Abendämmerung erreichen wir schließlich Chiltern. C. hat es mit dem Zeltaufbau nicht so, er läßt ein paar Strippen weg, wie wir des Nachts bemerken, als plötzlich stürmischer Wind zu Besuch kommt. So muß er im Dunkeln noch einmal hinaus und ein paar weitere Heringe festklopfen. Glücklicherweise ist der Regen nicht so heftig wie es klingt, wenn man im Zelt liegt. Er wird kaum naß und wir können weiterschlafen.

Am Morgen sieht der Himmel noch grau aus, auch regnet es ein wenig. Zum Frühstück gibt es für uns Würstchen von den lokalen Girl Guides, die mit einem Stand die Chiltern Cancer Cruise unterstützen, eine Benefizveranstaltung, die der kürzlich verstorbenen Dianne Gibbens vom nahen Wodonga gewidmet ist, Mitglied eines Auto-Oldtimer-Klubs, der ihr zu Gedenken ein Treffen veranstaltet.

Dave erzählt mir stolz, wie er einen heruntergekommenen Morris Minor aus den 50ern gefunden hat, den ein Pärchen rund um Australien gefahren hat. Er hat sich viel Mühe gemacht, diesen in einen Postwagen umzubauen, wie er tatsächlich in den 50ern in England im Einsatz gewesen ist, und wie er auf die Jagd nach Details ging, um so nahe wie möglich an das Original zu kommen. Er zeigt mir, welche Vorrichtungen bemüht wurden, um die Ladung zu sichern, besonders, weil damals auch Geld mit der Post transportiert wurde.

Ein weiteres Schmuckstück ist ein Sportwagen aus dem Jahre 1926, der noch sehr ursprünglich aussieht, Mich hat auch die Form des verchromten Auspuffs amüsiert.

Wir hatten wohl ziemlich viel Glück mit dem Regen, unweit von uns muß es wesentlich mehr gedonnert, geblitzt und geregnet haben, wie uns die Zeltnachbarn erzählen, die mit Bekannten in Bright telefonierten. Trotzdem sind auch wir betroffen, meine Fahrt wird vom hin und her des Scheibenwischers begleitet.

Schließlich halten wir in Gundagai. Das Essen war nicht so berauschend, das Laufen durch die in den 30ern des 19.Jahrhunderts gegründete Stadt interessant, dank der Schilder, die die Geschichte beschreiben. Eines erinnert an eine der Fluten, im Jahre 1852, als der Murrumbidgee zum wiederholten Male über die Ufer trat. Lokale Ureinwoner retteten mit ihren aus Baumrinde gebauten Kanus weiße Siedler, sonst wäre die Zahl der Ertrunkenen noch höher gewesen. Immerhin starben 78 (oder gar 89?) der damals etwa 250 Einwohner.

Das im Straßenbild zu sehende Family Hotel ist zumindest bis in das Jahr 1858 zurückzuverfolgen, das andere Foto zeigt das Gebäude einer Bank, das im Zuge des Goldrausch von 1864 gebaut wurde.

Auch E. fährt uns durch den Regen entgegen. Wir beschließen, in Canberra nach Unterschlupf zu suchen, und finden diesen in einem Motel an einem Golfklub. Ich lasse mir das Abendbrot mit aus Melbourne mitgebrachtem Aufschnitt schmecken, auch E. erreicht unser Nachtquartier, wir schwatzen und alle freuen sich auf eine Nacht  im warmen Bett. Zeltaufbau ist für den Morgen geplant, wenn sich hoffentlich der Regen  verzogen hat.

Ein ganz normaler Arbeitstag

..im Herbst, bei etwas über 20 Grad, blauem Himmel, weißen Wölkchen.

Morgens radele ich zur Arbeit, überlege kurz, welchen Weg ich nehme, durch kleine Gassen von Port Melbourne nach South Melbourne. An der Clarendon Street mache ich halt, kaufe mir die Zeitung, eine kurze minimalistische Unterhaltung mit der großgewachsenen jungen netten Inderin im Tante-Emma-Laden, dann geht es weiter zum Büro.

Zum Mittag geht es hinaus ans Meer, ein paar junge Frauen sind mit ihren kleinen Kindern am Strand. Ein kleines Mädchen möchte mit den Kindern ihrer Nachbarfamilie Freundschaft schließen. Sie wird von ihrer Mutter zweimal zurück “in den Schoß” getragen. Ich fand das schade.

Es gibt kaum Wind, daher kaum Wellen. So glänzt das Wasser glatt in der Sonne. Grün ist es. Das Schwimmen ist erholsam. Dieses Jahr habe ich bis jetzt noch keine Quallen gesehen. Dafür hat es vor kurzem ein Hai, knapp zwei Meter lang, in die Bucht geschafft. Er hat aber keinem etwas angetan. Trotzdem wurden wir am Strand von Hampton, ein paar Vororte weiter unten an der Bucht, von Lifesavern aus dem Wasser gescheucht. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste..

Am Abend habe ich für uns zuhause gekocht. Es gab Hühnerkeulen mit Erbsen und Möhren und Stampfkartoffeln. Die Tüften waren halt anders nicht zu gebrauchen, wir warten auf die neue Ernte.

Wie gesagt, ein ganz normaler Arbeitstag. Immer noch mit einem Stückchen Paradies in meinem Leben hier downunder.