Die Festival Hall in North Melbourne am Donnerstagabend: Patti Smith gibt ihr letztes Konzert in Australien. Hierher zu fliegen ist anstrengend für sie geworden, sagt sie, und wenn dann noch die Organisation für eine ganze Band dazukommt, dann wird ihr das langsam zu viel. Sie mag vielleicht noch einmal kommen, aber halt nicht mit voller Band.
Ich hatte ihre Musik, ihr Dancing Barfoot, schon morgens im Kopf, und abends auf dem Weg zum Konzert. Eine Vergeßlichkeit wurde unangenehm für mich: Was sollte ich ohne Fahrradschloß mit meinem Rade anfangen? Ich beschloß, eine junge Frau zu fragen, die gerade ihres abschloß. Sie nahm sich auch meines Rades an, so daß es während des Konzertes sicher war.
In der Festival Hall angekommen, sah ich recht viele Frauen. Sicher, Patti Smith ist auch Wegbereiterin, wenn es um Frauen in Rock(musik) geht.
Zunächst spielte aber Courtney Barnett. Die junge einheimische Sängerin freute sich, vertraute Gesichter aus North Melbourne zu sehen, darunter Mama und Papa. Fast wäre sie nicht auf die Bühne gekommen, scherzte sie: Sie hatte ihren Eltern ihr Armband gegeben.
Courtney spielte fast ausnahmslos Material von ihrer Platte “Sometimes I sit and think, and sometimes I just sit.” Ihre Melbourner Geschichten wurden freundlich aufgenommen. Sie fing langsam und fast beschaulich an, mit Dead Fox. More people die on the road than in the ocean maybe we should mull over culling cars instead of sharks. Mir gefallen ihre lakonischen Bemerkungen und die Zitate aus dem Leben in Melbourne, ob es um den Hauskauf in Depreston geht oder den Elevator operator auf dem Weg in die Stadt, mit der 96 von St.Kilda zur Swanston Street und dann hinauf ins Nicholas Building, eines der alten Hochhäuser aus dem 19.Jahrhundert. Sie ist aber wirklich keine “Liedermacherin”; sie und ihre Band rocken ganz ordentlich. Mir machte das Zuschauen und Zuhören Spaß.
Während Courtney Barnett freundlich aufgenommen wurde, wurde Patti Smith ein frenetischer Empfang beschert. Los ging es mit Dancing Barfoot von der Platte Wave, mit Pumping (My Heart) ging es noch weiter zurück, zu Radio Ethopia. Auch mit Ghost Dance blieb sie in den Siebzigern, das Lied ist auf ihrem dritten Album Easter.
Den nächsten Song sagte sie wie folgt an: Mit 15 hätte sie in ihrem Zimmer gesessen und Lieder ihres Lieblingspoeten gesungen. Das möchte sie auch heute abend tun. Und so stimmte sie “Oh, where have you been, my blue-eyed son? Oh, where have you been, my darling young one?” an, Bob Dylans Hard Rain’s A-Gonna Fall.
Mit Break It Up gelangte sie schließlich zum Anfang ihrer Karriere, bei der ersten Platte Horses. Diese hatte sie in den Tagen zuvor in voller Länge in der Hamer Hall gespielt. Mir gefiel dieser Abend in der Festival Hall besser, auch, da es sich um einen im Stehen handelte und wir nicht auf die Sitze in klassischem Konzertambiente verbannt wurden. Sicher, die Festival Hall ist kein Glanzstück der Akustik, aber sowohl Courtnery Barnett als auch Patti Smith kamen klar und deutlich herüber, anders als Metallica und Slayer, die mir mit miserablem Sound den Konzertort für Jahre vergault hatten.
Break It Up wurde von Patti Smith nach einem Traum geschrieben, erzählte sie, nach einem, in dem sie in den Wald geht und auf einer Lichtung eine Engelsstatue sieht, deren Schwingen in Ketten gelegt wurden. Ihr war klar, daß darinnen Jim Morrison steckte, und so rief sie “Break it up!”, damit er sich aus der Statue, aus dem Gestein befreien konnte.Sie forderte uns, die Zuhörer, auf, das auch heute abend auszrufen. Dem Wunsch wurde gern nachgegeben. Überhaupt wurde viel geklatscht, mitgesungen, mitgetanzt und mitgestampft.
Aint’t It Strange und Pissing In The River kamen als Nächstes. Sie beschrieb den Tod von Arthur Rimbaud, der ein Bein verloren hatte und im Krankenhaus im Sterben lag. Im Delirium träumte er davon, wie er mit dem Schiff nach Abyssinien reiste, um dort auf wilden Pferden zu reiten, wie er es in seinem Leben am liebsten getan hatte. So starb er nicht eines traurigen Todes, sondern mit dem Gedanken an etwas Schönes. Nach dieser Geschichte stimmte sie Beneath The Southern Cross an, ihr erster Ausflug in ihre jüngere Musikgeschichte, zum Album Gone Again.
Auch mit People Have The Power verweilte sie ein wenig in dieser Zeit. Ihr Aufruf, optimistisch zu sein und die Zukunft mitzubestimmen wurde begeistert aufgenommen. Für viele ein willkommener Kontrast zu den eher dunklen Winden, die uns dieser Tage umwehen.
Mit einem langen Jam entlang “Horses”, wie auf dem Album in den Song Gloria übergehend, beendete den regulären Teil ihres Auftritts. Natürlich mußte sie zum Encore auf die Bühne, und spielte zwei weitere sehr populäre Stücke: Bruce Springsteens “Because The Night” und den Rock’n’Roll Nigger.
Der Jubel war groß, und so dauerte es ein wenig, bis Ruhe eintrat. Mit dem A-capella vorgetragenen Liedchen Wing verabschiedete sie sich und ihre Band zum letzten Mal.
Beschwingt, gestärkt und optimistisch verließ ich diesen Hippie-Gottesdienst, traf Rosie, die Hüterin meines Fahrrads wieder,bedankte mich bei ihr und fuhr in der warmen Abendluft durch die Dockland nach Hause.
So schön kann Musik sein.
P.S. Dieser Artikel enthält mindestens einen Fehler, die Herkunft und Reihenfolge von Liedern auf Patti-Smith-Platten betreffend.
Eigentlich kein Wunder. Abgesehen von der fabulous fabulierenden Patti Smith liegen auch meine eigenen Erinnerungen auf einem Fundament aus zweiter Hand. Ich verbinde Patti Smith mit meiner Zeit in der Abendschule, mein Abitur nachholend, gemeinsam mit einem Freund, der mit anderen ein neues Zuhause in einem zu DDR-Zeiten vernachlässigten abrißreifen Haus in der Rostocker Nördlichen Altstadt gefunden hatte. In diesem Haus, in dem man auf der Toilette mit einem Wassereimer nachspülte, und der Eingang auf Bauchhöhe durch ein Kabel “vermint” war, welches Plattenspieler und Lautsprecher verband, glaube ich, zuerst Patti Smith gehört zu haben.
An Plattenläden, in die man ging, um einfach so die neueste Patti-Smith-Platte zu kaufen, war damals nicht zu denken. So begann meine Sammlung mit Mitschnitten aus “Duett – Musik für den Recorder” von Jugendradio DT64 und andren Radioquellen, zumeist dem NDR, dem “Westradio”, und wurde später ergänzt durch Geschenke und selbstgekauften Tonträgern, nachdem die Mauer offen geöffnet wurde.
Meine Horses-Kopie ist im wahrsten Sinne eine Kopie, für eine Handvoll Peseten auf einer Wanderung in Spanien erworben, gemeinsam mit Radio Ethopia. Man kann gar das Absenken der Plattennadel hören, und die Lieder sind in falscher Reihenfolge und unterschiedlich auf Hülle und auf der Kassette selbst abgedruckt.
Anyway, “don’t fuck around with the past. Let’s fuck around with the future. We are the future” (Patti Smith auf dem Konzert.)
P.P.S. Grüsse nach Hangzhou. Mal schauen, ob ich mal wieder vorbeikommen kann. Schade, daß Du umgezogen bist. Ich werde das Spülen mit dem Wassereimer vermissen;-)