April, April

Hallo aus Melbourne!

Ich bin überrascht, der April verging schnell! Ich gehe durch meine Notiz- und Bildersammlung und klaue auch ein paar Zeilen aus einem kürzlich geschriebenen Brief (noch mal liebe Grüsse, Jens!), um mich selbst an diesen schnell vergangenen Monat zu erinnern.

Hier ist Herbst. Der zumeist schön ist. So auch heute. Die
Sonne scheint. Die bunten Blätter strahlen in grün, gelb, orange, rot. Herbst halt. Die Ureinwohner nennen es die Zeit,
in der Regen and Wind aufgehört haben. Eine der sechs zumeist schönen Jahreszeiten in Melbourne.

Qian und ich haben ein langes Wochenende teilweise in Echuca verbracht. Zweihundert und ein bisschen Kilometer nördlich von Melbourne, ist der mighty Murray River die Grenze zu New South Wales. Keine Wale, und auch sonst ist der größte Fluss nicht so wahnsinnig imposant, auch wenn er und seine Zuflüsse für den Osten des Landes sehr wichtig sind. Derzeit ist nicht viel Wasser drin, und es hat nicht einmal Warnowbreite. Nebel vielleicht, in braun.

Wir waren mit dem Hotel California unterwegs, unserem kleinen Zeltanhänger. Gemessen an den Ungetümen, die heute durch das Land ziehen, ein Winzling.

Auf dem Zeltplatz, ein von den Einheimischen freigegebener Ort ohne weitere Einrichtungen, wenn man von Wasserhähnen absieht, trafen wir grey nomades, Rentner, die in Wohnwagen durch das Land ziehen und oft wohnen. Einige Geschichten sind ganz interessant. Ray aus Westaustralien, der beruflich viel herumgekommen ist, und seine Frau Jenny, die am Tag unserer Abreise ihren 70. Geburtstag feierte. Westaustralien nimmt ca. 40 Prozent des Kontinents ein. Die Hauptstadt Perth mit seinen inzwischen 2,5 Millionen Einwohnern ist zwei Zeitzonenstunden von uns entfernt, so wie Moskau.
Glücklicherweise geht es dazwischen aber friedlich zu. Das ist doch schon was. Nicht, dass hier alles paletti ist. Aber immerhin fehlt dem gemeinen Aussie der Hang zum Fanatismus. Es gibt keinerlei Meinungsunterschied, der nicht beim Grillen dezent zur Seite gelegt werden kann. Das finde ich immer noch ungemein entspannend.

So kann ich mich hier neben der Frustration mit der Großen Politik den kleinen Dingen des Lebens widmen. Dazu gehört das Konzertleben. Vor gut einer Woche habe ich Kid Congo Powers gesehen, der über Nick Cave and The Bad Seeds mit Australien verbandelt ist. Er hat mit ihnen bis irgendwann in den Neunzigern gespielt, u.a. das Album The God Son. Auch habe ich ihn vor langer Zeit auf einem Album mit der deutschen Band Die Haut gefunden, welches den schönen Titel Headless Woman in Topless Bar trug.

Dieses Mal war Kid Congo mit seinem Bad Seeds-Mitgefährten Mick Harvey auf der Bühne. Kid Congo in rosa Umhang, Mick Harvey dezenter dahinter am Bass. Er kann ja alles spielen, außer vielleicht Hauptperson auf der Bühne. Er, so scheint mir, spielt lieber im Hintergrund, ob life, ob im Studio, Gitarre, Bass, Schlagzeug, Komponist, Produzent. Zur rechten spielte ein Hüne unspektulär, aber gut Gitarre. Hinten saß ein Schlagzeuger in einem Aufzug, als wenn er aus einem Tarantino-Film entsprungen wäre.

Kid Conco war der Blickfang und Unterhalter. Ich kenne wenige seiner eigenen Lieder. Das ist nicht unbedingt schlecht. Ich kann so jeden Song als Neuheit einfangen und brauche keine alten Kamellen einzufordern. Als Vorband und zur Zugabe war der Aussie Kim Salmon auf der Buehne, in stylisch braunem Anzug. Am Ende fing ein 50 Hertz-Brummen an. Die Veteranen der Buehnenzunft umzingelten den Monitor und beschlossen per Kopfnicken abzuschalten. Kurz danach war dann alles vorbei.

Wir sind übrigens auf unserem Heimweg aus Echuca durch Rochester gekommen, einer durch 150 Jahre alte Hotels und große Weizensilos gezeichnete Kleinstadt, aus der Mick Harvey stammt. 2018 hat ein Melbourner Künstler, Jimmy Dvate (https://jimmydvate.com), dort die Silos bemalt, Squirrel Glider, Azure Kingfisher und Platypus. In der Bäckerei hing ein Foto von 2011. Damals trat der Campasce, ein Nebenfluss des Murray, über die Ufer und überschwemmte die Hauptstraße der Kleinstadt. Die Bäckerei hat wohl damals Glück gehabt. Die Türschwelle war gerade noch hoch genug.

Echuca am Murray liegt an der Grenze der zwei Bundesstaaten Victoria und New South Wales, bis 1901 unterschiedliche Kolonien. Deshalb gibt es dort Zollhaus und Banken. Das Commonwealth of Australia wurde 1901 mit der Motivation gegründet, diese Zölle und andere Hindernisse zwischen den Landesteilen abzuschaffen. Unsere Verfassung liest sich ziemlich prosaisch wie die Geschäftsordnung. Von Grundrechten und ähnlichem ist da nicht viel zu finden.

  

Der Grund des langen Wochenendes war der ANZAC Day. An dem gedenken die Aussies der Landung von Gallipoli in der heutigen Türkei, im Jahre 1915 von englischen Offizieren für Vaterland und Krone verheizt. Es ist nicht supermilitant, eher ein stilles Gedenken an junge Menschen, die in Kriegen ums Leben gekommen sind. Natürlich stellt sich trotzdem die Frage, warum sie da waren.

Wie auch immer, es ist ein freier Tag. Eine Band spielt am Wochenende im Shamrock Hotel, wir gucken Footy – St.Kilda spielt nicht schlecht, verliert aber trotzdem, ich bin via Signal im Kommentaraustausch mit Sarah, die derzeit bei ihrer Großmutti in Berlin weilt – und wir kommen mit einer aus den Niederlanden eingewanderten Frau ins Gespräch. Von hier aus bin ich weniger Deutscher, mehr Europäer. Wir kommen über alte und geplante Urlaube in Prag und Budapest ins Gespräch. Qian hatte einen in Taiwan gekauften Reiseführer über diese Städte, in chinesisch geschrieben, auf dem Tisch.

Bei mir war es “the naturalist of Amsterdam” von Melissa Ashley. Das ist ein Roman, der um 1700 spielt und sich mit den niederländischen Kolonien und speziell Surinam befasst, und dem Entstehen von Büchern, die die Natur der Neuen Welt, die damals für Europäer entdeckt wurde, beschreiben. Es geht im das Leben unabhängiger Frauen, vorallem das von Maria Sibylla Merian, die sich auf Schmetterlinge spezialisiert hatte und diese studierte, derer Metamorphosen und derer Habitat, und darüber Bücher schrieb und illustrierte, so naturgetreu wie möglich. Ein recht interessantes Buch, gibt es der Zeit etwas Flair, welcher mich etwas an Beschreibungen über das viktorianische Zeitalter in England erinnert, gut hundert Jahre später.

Am Anfang des April besuchten wir die Triennale im NGV, der Nationalgalerie von Victoria. Es war das letzte Wochenende dieser Ausstellung und ich wollte sie nicht ganz verpassen. Der Andrang war gross, nicht nur mir ging es so. Nächsten Tag berichtete ein befreundeter Bogenschütze, dass er auch dort war. Bei dem Gemenge war es aber wirklich kein Wunder, dass wir uns nicht gesehen hatten.

Am Eingang, hinter dem Fensterbogen, an dem Wasser hinunterläuft, der immer wieder Kinder zum Spielen einlädt, war ein feuriges Spektakel aufgebaut. eine riesige Frauenfigur, in ihr Handy versunken, stand in der Eingangshalle. Es gab einen Raum, dessen Wände mit Papier behängt waren. In der Mitte saßen die Besucher:innen und beschrieben und bemalten weiße Blätter und fügten sie den Wänden hinzu. Es gab einen leuchtenden Teppichboden. Es gab… viel zu sehen.

Die Ausstellungsstücke der Triennale waren in die Dauerausstellung integriert. Ich fand das sehr gelungen. So konnte man die ‘frischen” Stücke bewundern und blieb doch ab und an an altbekannten Ausstellungsstücken ‘hängen’, wie z.B. einem Gemälde von Pizarro, einen Boulevard in Montparnasse zeigend, oder vom Australier Tom Roberts, der 1886 seine Mitreisenden auf der Fahrt nach Süden malte.

Als erstes beeindruckte mich eine Videoinstallation eines US-Amerikaners, Sky Hopinka. Es beschäftigt sich mit dem Verschwinden der Welt, die seine Vorfahren, amerikanische Ureinwohner:innen, vorgefunden hatten.

Eine Taiwanesin, Joyce Ho, reflektierte in ihrem Videorahmen den Alltag und den Raum, in dem dieser stattfindet.

Die Australierin Jessica Murtagh erschuf “klassische” Vasen, in denen nicht griechische Gottheiten, sondern unser Pandemie-Alltag abgebildet ist, den Kampf ums Toilettenpapier und das Anstellen bei Centrelink, dem Sozialamt.

Mich beeindruckte ein grosses Ölgemaelde der Amerikanerin Lucy Bull als auch eine Sphinx, die sich mit kultureller Aneignung beschäftigt. Wahrscheinlich waren es niederländische Kolonisten, die indonesische Batik nach Afrika brachten, es ist nicht “klassisch afrikanisch”, auch wenn Batik weite Verbreitung auf dem Kontinent gefunden hat.

Die Australierin Ashley Jameson Eriksmoen “rekonstruiert” einen Baum aus Abfall. “Tee with yot-a!” heißt “Viele Cockatoos!” und ist ein Versuch von Keith Wikmunea, einem Australier mit First Nations Background, visuell Wissen über das Land weiterzugeben. Eine Süßwasserlagune im Norden des Landes, wo er her kommt (gut 3000km von hier) weitet sich während der Regenzeit soweit aus, dass sie sich mit dem Salzwasser des benachbarten Meeres verbindet. Es ist die Zeit der Cockatoos.

Alles in allem ein schöner Besuch. Ich glaube, dieser junge Besucher denkt das auch.