Erinnerungen an eine Reise durch Europas Osten – die Ukraine

Wie es der Zufall so will, habe ich dieser Tage gerade Marina Lewyckas Short History of Tractors in Ukrainian (auf deutsch: Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch) in der Hand gehabt, als sich die Lage in der Ukraine extrem verschlechterte, bis es dann zum Krieg kam. Ich schwöre, daß zwischen meiner Lektüre und dem Krieg kein Zusammenhang besteht. Was Putin dieser Tage liest, weiß ich nicht, ich vermute aber, nicht das gleiche Buch.

Dieses Buch enthält unter anderem einige Ausflüge in die Geschichte der Ukraine des 20. Jahrhunderts, und man kann wohl sagen, daß dieses Land, ähnlich Polen eingequetscht zwischen Deutschland und Rußland und zunächst auch der Österreich-Ungarischen Doppelmonarchie, oft nicht unbedingt auf der Sonnenseite gestanden hat.

Nichtsdestotrotz ist das Buch voller Humor. Das braucht man wohl auch.

Ich selbst habe, mit meiner damaligen Partnerin, das Land, wie auch Rußland, im Jahre 1998 bereist.

Es war nicht das Ziel unserer Reise, das war Usbekistan. Wir wohnten einer ungarischen Hochzeit in Budapest bei, außer den Namen der Vermählten habe ich auf dem Standesamt nichts verstanden. Die Feier danach war fantastisch. Den Tag darauf machten wir uns im Zug auf den Weg zur ukrainischen Grenze. Wir hatten ein Visum für Usbekistan, welches man nur per Einladung oder durch ein organisiertes Reiseunternehmen bekommen konnte. Ich hatte es von meiner russischen Verkäuferin im Zeitungsladen in Berlin bekommen, was die ohnehin nicht gerade kleine Gebühr verdoppelte, auf fast 200 Mark, wenn ich mich recht erinnere.

Soweit wir wußten, galt dieses Visum duch einen Vertrag von Staaten der ehemaligen Sowjetunion, der GUS (“Gemeinschaft unabhängiger Staaten”), als ein Transitvisum für alle anderen Länder, um sie in 72 Stunden (je Land) zu durchqueren.

An der Grenze wurde ich von uniformierten ukrainischen Grenzbeamten zur Leibesvisitation aus dem Zug geholt, was mich etwas nervös machte, da der Zug mit meiner Freundin über den Bahnhof hin- und herrangierte, unter anderem, um neue Untergestelle zu bekommen.

In der Sowjetunion und ihrer Nachfolgestaaten werden die Gleise in Breitspur verlegt, breiter als die in den meisten Teilen Europas gängigen 1435 Millimeter. Im Osten sind es 1520 mm, 5 Fuß, wie von einem amerikanischen Bahningenieur, George Washington Whistler, 1843 vorgeschlagen, als die Bahn zwischen Moskau und Petersburg gebaut wurde. Das wäre billiger, und mit dem europäischen 1435 mm-Netz war keine Verbindung geplant. So ähnlich sieht es in Australien aus, unser Nachbarstaat New South Wales hat eine andere Spurbreite als unser Victoria.

Kurz danach hatte ich mehr Grund, nervös zu sein. Die Ukraine hatte sich von dem Vertrag, die gegenseitige Anerkennung von Visa betreffend, gelöst, wir hatten kein gültiges Transitvisum.

So kam meine Partnerin dazu, und die Nacht hindurch bis früh morgens saßen wir in der Gesellschaft eines jungen ukrainischen Grenzbeamten im Transitraum. Er hatte seine Kalaschnikow, die AK-47, dabei und versuchte wach zu bleiben, in dem er das Gewehr ab und an zerlegte, reinigte und wieder zusammenfügte. Ich hatte übrigens versucht, ihn zum “Übersehen” unserer Visaprobleme mit einigen US-Dollars zu überreden, das ging aber nicht, wie er mir zu verstehen gab. Seine Vorgesetzten würden das mitkriegen, dann wäre er in Nöten. Er schien uns aber den Bestechungsversuch nicht weiter übelzunehmen und war sehr freundlich.

Wir machten uns im Morgenzug auf den Weg nach Debrecen, wo es kein ukrainisches Konsulat gab, entgegen dem Rat, den wir an der Grenze bekommen hatten, und mußten bis Budapest zurück. Dort telefonierten wir mit der Botschaft. Ja, das Visum könnten wir bekommen, aber es würde eine Woche dauern. Morgen, sofort? Unmöglich, aber wir sollen kommen, von 9 bis 12 wäre die Botschaft geöffnet.

Wir guckten uns die Karte an und dachten an Alternativen, die Ukraine umgehend. Es gab damals noch keine Smartphones, um nachzugucken, und um ans Internet zu gelangen, ging man in ein Internetcafe. Am Morgen gingen wir zur Botschaft und warteten. 10 Uhr. Und warteten. 11 Uhr. Und warteten. Eine Frau wurde wütend und beschimpfte den uniformierten Türsteher, irgendwas mit “Stalin” in ihrem Redeschwall. Weiter warten. Schließlich wurden wir in die Botschaft hineingebeten. Zwei mal 50 Dollar später hatten wir ein Visum.

Kurz darauf saßen wir wieder im Zug nach Kiew. Der Schaffner, der leicht alkoholisch angesäuselt war, zweifelte die Gültigkeit unserer Fahrscheine an, da wir aber keine Anstalten machten, uns auf irgendeinen Kuhhandel einzulassen (“Ja ne panemaju”, ich verstehe nicht), gab er auf und wir erreichten schließlich Kiew.  Angekommen, lief uns eine junge Frau über den Weg, die uns warnte. Sie wäre gerade ein paar Tage zuvor auf dem Bahnhof ausgeraubt worden, man hätte ihr ein Messer an die Kehle gehalten. Was wir hier nur wollten, sie hätte einen deutschen Freund und wollte nichts wie weg. Sie kenne aber die Leute von der Bahnhofsmission und sie würde uns dorthin bringen, wir könnten da übernachten.

Die Bahnhofsmission hatte einen leeren Saal voller Kinderbetten, die wir zusammenschoben, um uns ausstrecken zu können. Unser Gepäck war in einem Eisenkäfig, ob das gut oder schlecht war, konnte ich nicht beurteilen. Wir schauten auf den Bahnhof hinunter, wo große schwarze Ungetüme von Dampfloks Personen- und Güterzüge hinter sich herzogen, und schliefen schließlich ein.

Am Morgen bedankten wir uns bei den Frauen von der Mission und gingen in die Stadt. Straßenhändler boten Schuhe und Spielzeug an. Wir steuerten auf das vermeintlich beste Hotel zu, um Geld zu tauschen und eine Karte von der Innenstadt zu bekommen. Der Portier war leider schon betrunken und verstand nur Bahnhof,  aber irgendwie bekamen wir was wir wollten und gingen in die Innenstadt, bewunderten den Krestschatik mt seinen Stalinbauten und das Staatstheater nahebei und die gutgekleideten hübschen Frauen. Es gab Tuchläden, in denen sich die modebewußte Jugend schöne Stoffe aussuchte. Ob sie selbst nähten oder aber nähen ließen, kann ich leider nicht sagen.

Später fuhren wir nach Charkow, der zweitgrößten Stadt der Ukraine. Bauleute pfiffen von hoch oben meiner Freundin nach, auf dem Markt hörte man, wie überall auf unserer Reise 1998, Modern Talking. Meine Freundin hatte fürs erste genug Abenteuer. Entgegen sonstiger Gepflogenheiten steuerte sie uns in den McDomalds hinein, und von dort betrachteten wir das Marktgeschehen, als auch die quasi-militärische Rangfolge der Angestellten bei Maccas. Die in grünen  Uniformen machten sauber, die in blau überwachten, in rot bedienten an der Kasse usw. usf. – eine echte postkommunistische Klassengesellschaft.